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Der Sdiiffbruch Anthony Edens

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Für einen begabten und ehrgeizigen Mann, dem schon in seiner Jugend eine glänzende politische Laufbahn vorausgesagt worden war und der dann durch eine lange Reihe von Jahren auf verschiedenen hohen Posten Gelegenheit hatte, sich auf das heißersehnte und ihm so gut wie zugesicherte Amt des Premierministers vorzubereiten, ist es eine bittere und schwer zu ertragende Enttäuschung, wenn er sich bald nach Erreichung seines Zieles durch den völligen Zusammenbruch seiner Politik gezwungen sieht, die Zügel der Regierung anderen Händen zu überlassen.

Man kann daher dem nun zurückgetretenen britischen Premier, der nach 15jähriger Lehr- und Wartezeit als Schüler und präsumtiver Nachfolger Winston Churchills im April 1955 in der Downing Street IO seinen Einzug hielt und kaum 21 Monate später dieses Haus_,wieder verlassen mußte, ein gewisses Mitgefühl'nicht versagen: um so weniger, als eine wesentliche Ursache seiner Fehlschläge auf der ganzen Linie in bestimmten charakterlichen Zügen zu suchen ist, für die seine Vorfahren vielleicht mehr verantwortlich waren als er selbst. Sir Anthony Edens Vater wurde notorisch durch seine Unbeherrschtheit, seinen Jähzorn, seinen eigensinnigen Widerstand gegen die Meinungen anderer; eine ähnliche Anlage, verbunden mit einem guten Maß Eitelkeit, findet sich im Sohne wieder, und dies war auch ein Grund, weshalb Churchills Wahl seines Nachfolgers von manchen, die Sir Anthony gut kannten, für nicht unbedenklich gehalten wurde. In Edens Charakter, in seiner Beeinflußbarkeit durch persönliche Stimmungen und Gefühle, weit mehr als in einem Mangel an Intellekt und fachlichem Wissen, liegt die Erklärung für die sonst unverständlich verfehlte Haltung, die er schon als Außenminister im Kabinett Chamberlain zur Zeit der Abessinienkrise Mussolini gegenüber einnahm, und im Zusammenhang damit für das ressentimentbeladene Vorurteil, mit dem er zu den blutigen Ereignissen in Spanien Stellung bezog; ebenso wie die Erklärung für die schier unfaßbar kurzsichtige und zugleich inkonsequente Politik, die er in den jüngst verflossenen Jahren und Monaten vor allem in dem für Großbritannien lebenswichtigen Raum des Nahen Ostens verfolgte. Wer sich, so wie Sir Anthony es 1934 getan hat, allen' Gegenargumenten zum Trotz und mit dem gewünschten Erfolg, für die Räumung der Suezkanalzone einsetzte, mit der Begründung, die Okkupation von Stützpunkten auf fremdem Boden, die umgeben seien von einer feindseligen Bevölkerung, sei zweck- und wertlos geworden, hat keine gültige Antwort auf die Frage, warum er es ablehnt, dasselbe Prinzip auch im Falle Zypern gelten zu lassen. Gerade in seiner Behandlung des Zypernproblems und mehr noch durch seinen kläglich verlaufenen Versuch, seinen erstaunlichen Mangel an Voraussicht bezüglich der weiteren Entwicklung arti Suezkanal mit Waffengewalt wiedergutzumachen, hat Eden überzeugend be wiesen, daß ihm vornehmlich die Gabe fehlt, die zu den wichtigsten Qualifikationen eines wahren Staatsmannes gehört: ein klarer Blick für die Tragweite und die Folgen seiner Handlungen.

Es ist kein beneidenswertes Erbe, welches der neue Mann an der Spitze der britischen Regierung übernommen hat. Er wird auf außenpolitischem Gebiet viel geleistet haben, wenn es ihm gelingt, die unheilvolle Zypernfrage aus der Welt zu schaffen und das empfindlich gestörte Freundschaftsverhältnis mit den Vereinigten Staaten, auf deren Vertrauen und Unterstützung Großbritannien heute mehr angewiesen ist denn je, wiederherzustellen; daß er es überdies zuwege bringt, die durch das Fiasko der bewaffneten Aktion gegen Aegypten hoffnungslos kompromittierte Stellung des Vereinigten Königreichs in den arabischen Ländern wiederaufzubauen, kann billigerweise nicht erwartet werden. Dringender als irgendein Versuch in dieser Richtung wird es ihm erscheinen müssen, mit den innenpolitischen und vor allem wirtschaftlichen Problemen fertig zu werden, die schon vor der Suezkrise bedrohlich genug waren und seither eine empfindliche Verschärfung erfahren haben.

Um was es sich hier vor allem handelt, ist eine lange Reihe von noch offenen Lohnforderungen, namentlich in den Sektoren Schwerindustrie und Transport, deren Bewilligung die Konkurrenzfähigkeit britischer Exporte aufs schwerste gefährden und deren Ablehnung fast sicher Streikbewegungen großen Umfangs aus- lösen würde. Auch hier zeigt sich eine verhängnisvolle Folge der Edenschen Politik. Wenn die Regierung Eden, unter Hinweis auf die angeblich schwierige Wirtschaftslage des Landes, im Vorjahr alle Anstrengungen machte, um die Löhne nicht ansteigeii zu lassen, dann aber doch keine Bedenken trug, eine kostspielige militärische Aktion zu unternehmen, so liegt kein Grund vor, so argumentieren die Gewerkschaftsführer, den jetzt erneuten Versicherungen Glauben zu schenken, daß die Bewilligung der geforderten Lohnerhöhungen die gesamte Volkswirtschaft in Gefahr brächte. Nun waren freilich die unmittelbaren Kosten jener Aktion geringfügig im Verhältnis zu den Verlusten, die der britischen Volkswirtschaft durch deren Auswirkungen zugefügt worden sind; durch die Blockierung de: Suezkanals, die Erhöhung der Frachtraten, Jje Sprengung der Pipelines in Syrien, die Oel- knappheit in England, den Schwund der britischen Dollarreserven und anderes mehr. Aber die Gewerkschaften dazu zu bringen, die Konsequenz aus dieser Sachlage zu ziehen und auf die Durchsetzung erheblicher Lohnsteigerungen zu verzichten, ist ein Problem, dessen Lösung an die Autorität und die Ueberzeugungskraft der neuen Regierung die höchsten Anforderungen stellen wird. Sie wird damit beginnen müssen, der Staatsführung das Vertrauen wiederzugewinnen, das in der Aera Eden so tief erschüttert worden ist.

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