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IRA-Hungerstreik war Kamikaze-Akt

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Michael Alison (Bild) war bis Mitte September stellvertretender britischer Nordirlandminister, ehe er im Zuge von Margaret Thatchers jüngster Regierungsumbildung ins Arbeitsministerium übersiedelte. Kurz vor Alisons Ausscheiden aus dem Northern Ireland Office interviewte ihn Klaus P. Swo-boda für die FURCHE.

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Michael Alison (Bild) war bis Mitte September stellvertretender britischer Nordirlandminister, ehe er im Zuge von Margaret Thatchers jüngster Regierungsumbildung ins Arbeitsministerium übersiedelte. Kurz vor Alisons Ausscheiden aus dem Northern Ireland Office interviewte ihn Klaus P. Swo-boda für die FURCHE.

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FURCHE: In Nordirlavd herrschen Avsnahmegesetze, es gibt Sondergerichte und keine Geschworenensenate. Wenn die britische Regierung den inhaftierten Terroristen in Ulster keinen „politischen Status" gewähren unll, warum kann man ihnen dann nicht zumindest einen speziellen „Ausnahmestatvs" gewähren — mit einer Zusicherung der Wiederaufnahme der Prozeßverfahren nach dem Auslaufen der Ausnahmegesetze, wie dies von der nordirischen Friedensbewegung gefordert wird?

MICHAEL ALISON: Es ist richtig - für terroristische Verbrechen gibt es Ausnahipegerichte ohne Geschworene; dies trifft aber nicht nur für Nordirland zu, sondern zum Beispiel auch für die Republik Irland. Die Gründe für diesen Zustand liegen auf der Hand: Gäbe es Geschworene, so wären diese einer extremen Bedrohung durch die radikalen Terrororganisationen ausgesetzt.

Die unter Anwendung der Ausnahmegesetze Verurteilten sind demnach schon als politische Terroristen gekennzeichnet, indem sie vor andere Gerichte gestellt wurden als die „kriminellen Verbrecher". Es ist gänzlich überflüssig, ihnen zusätzlich einen „speziellen Status" oder „Ausnahmestatus" zu geben. Die Forderung nach einer künftigen Wiederaufnahme der Prozesse können wir deshalb nicht akzeptieren, weil wir dadurch ja selbst die Fairneß und Gerechtigkeit der derzeitigen Gerichtsverfahren in Zweifel stellen würden.

FURCHE: Sie wollen damit sagen, daß die Terrorprozesse in Nordirland trotz der Anwendung von Ausnahmegesetzen gerecht und fair verlaufen?

ALISON: Ganz gewiß. Und dazu kommt noch folgendes: Im Unterschied zu der Rechtsnorm auf dem britischen Festland gibt es bei den nordirischen Terroristenprozessen ein uneingeschränktes Recht jedes Angeklagten auf ein Berufungsverfahren. Den Senaten der zweiten Instanz karm man auf keinen Fall irgendwelche konfessionellen Vorurteile vorwerfen — sie werden aus drei unabhängigen Richtern gebildet, sie finden auf dem britischen Festland statt, wir haben sogar einen Richter mit

buddhistischem Religionsbekenntnis. Eine Diskriminierung der Katholiken kann es da auf keinen Fall geben.

FURCHE: Gehen sehr viele der Prozesse in die zweite Instanz?

ALISON: Eine ganz beträchtliche Anzahl - wenn ich auch die genaue Statistik nicht im Kopf habe. Wie Sie jedoch aus den von unserem Ministerium publizierten Unterlagen ersehen Jcönnen, sind auch die Prozesse einiger der Hungerstreik-Aktivisten der IRA in die zweite Instanz gegangen. Man kann also auf keinen Fall behaupten, daß diese Männer in einem unfairen Prozeß oder gar in einem Schnellgerichtsverfahren abgeurteilt worden wären.

FURCHE: Von weiten Kreisen der IRA, wie auch von den meisten Hungerstreik-Aktivisten selbst, wurde während der letzten Wochen die ursprüngliche Forderung nach „politischem Status"

Weise eine Art „Gefängnis-Selbstverwaltung" zugestehen würden, und da sie darüber hinaus all diejenigen Rechte hätten, die ansonsten nur den Kriegsgefangenen zugestanden werden. Da denke ich besonders an die beiden Forderungen nach -freiung von jeglicher Arbeit" und nach „vollkommener Versammlungsfreiheit": Auf diese Weise könnten die Gefangenen praktisch tun und lassen, was sie wollen.

Zweitens können wir es auch nicht zulassen, daß uns die IRA Punkt für Punkt erpreßt. Die teilweise Erfüllung der anderen Forderungen und sonstige Gefängnis-Reformmaßnahmen ist sicherlich möglich, allerdings erst nach dem definitiven Ende der Hungerstreiks.

FURCHE: Sie deuten damit an, daß die britische Regierung bei den drei anderen IRA-Forderun-gen (zivile Kleidung; Zustellung von Post und Paketen; finanzielle ,Remissionen") zu Kompromissen bereit ist — wenn Sie auch aus taktischen Gründen den Augenblick abwarten müssen, bis die Hungerstreikkampagne zu Ende gegangen ist. Sie selbst haben über diese Punkte Ende August in Belfast ein entscheidendes Gespräch mit Owen Carron ge--führt. Wie würden Sie, aus der Sicht der britischen Regierung, das Ergebnis Ihrer Unterredung mit Mr. Carron kommentieren?

ALISON: Ich habe versucht,

zurückgezogen. Sie fordern heute bloß noch ,Jünf Punkte", die verschiedene Verbesserungen der Zustände in den nordirischen Gefängnissen herbeiführen sollen. Warum kann die britische Regierung in diesen fünf konkreten Punkten nicht nachgeben — oder könnten Sie sich einen Kompromiß vorstellen?

ALISON: Wir haben die Bedingungen in den nordirischen Gefängnissen in den vergangenen Jahren bereits sehr wesentlich verbessert. Wir werden uns auch in Zukunft um zusätzliche Reformmaßnahmen bemühen, und unsere Verhandlungsbereitschaft kann uns sicher niemand absprechen.

Aber in zweierlei Hinsicht können wir auf keinen Fall nachgeben: Erstens können wir den Fünf-Punkte-Forderungskatalog der IRA unter keinen Umständen in seiner Gesamtheit erfüllen, da wir den Terroristen auf diese

• Owen Carron galt ursprünglich als einer der Initiatoren der Maze-Hungerstreikkam-pagne. Am 20. August wurde er bei den Nachwahlen im katholisch dominierten Wahlkreis Fermanagh als Nachfolger des ersten „IRA-Märtyrers" Bobby Sands in das britische Unterhaus in Westminster gewählt.

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