Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Ulster bleibt der Friede verwehrt
Der Trauertag in Belfast spiegelt die ganze Ironie und Zwiespältigkeit des von konfessionellen Wirren zerrissenen Ulster. Sands, dem neuen Märtyrerder Terrormilizen der IRA, wird ein Begräbnis mit paramilitärischen Ehren zuteil. Vermummte Gestalten in Kriegsausrüstung geben dem 13. Opfer eines Hungerstreiks im Irland des 20. Jahrhunderts das Geleit. Am Seelengottesdienst ruft der Priester eindringlich zu Frieden und Wiederversöhnung auf.
Der Trauertag in Belfast spiegelt die ganze Ironie und Zwiespältigkeit des von konfessionellen Wirren zerrissenen Ulster. Sands, dem neuen Märtyrerder Terrormilizen der IRA, wird ein Begräbnis mit paramilitärischen Ehren zuteil. Vermummte Gestalten in Kriegsausrüstung geben dem 13. Opfer eines Hungerstreiks im Irland des 20. Jahrhunderts das Geleit. Am Seelengottesdienst ruft der Priester eindringlich zu Frieden und Wiederversöhnung auf.
Im Stadtzentrum dagegen predigt der Meister politischer Sabotage im Priesterrock, Ian Paisley, aus Furcht, die Begräbnisfeierlichkeiten könnten ihm vor der Weltöffentlichkeit die Schau stehlen, Unversöhnlichkeit und „Niemals vergessen“.
Das Aufrühren alter Vorurteile und Haßgefühle ist der Garant dafür, daß der politische Tonus angezogen bleibt, daß dem Land die langersehnte und von vielen ernstlich besorgten, nüchtern denkenden Menschen erstrebte Ruhe weiterhin verwehrt ist.
Die Bilder auf dem Militärfriedhof der IRA und der Paralleldemonstration Paisleys sind so abgrundtief verschieden nicht. Militante Katholiken und Protestanten, Republikaner und Loyalisten, die sich allesamt über den Friedenswillen der schweigenden Mehrheit hier und dort hinwegsetzen, IRA und UDA (Ulster Defence Association), die dazugehörenden paramilitärischen Truppen brauchen einander. um ihre Existenz, ihren Haß und ihren Lebenskampf zu rechtfertigen.
Doch angesagter Terror trifft vorerst nicht ein. IRA, offensichtlich bemüht, die Krisenstimmung aufrechtzuerhalten, aber gleichzeitig die Unterstützung durch die Öffentlichkeit nicht zu überziehen, mahnt zur Ruhe. Ein neuer Hungerstreiker, der sich dem Todeskommando der IRA beigesellt, bleibt das einzige schwerwiegende Ereignis.
Der sich rapid verschlechternde Gesundheitszustand der drei anderen, die schon mehr als vierzig bzw. fünfzig Tage jegliche Nahrung zurückweisen, sorgt dafür, daß die Spannung nicht abreißt. Die Gegenorganisation plädiert auf Abwarten. Ansonsten überschreitet der tägliche Blutzoll nicht das übliche, ohnedies traurige Maß.
Für eine Weile erlischt im Angesicht des Todes das soziale und kulturelle Leben des Landes. Desto lebendiger sind die antibritischen Gefühle. Die Anwesenheit der in Alarmbereitschaft ver setzten Sicherheitstruppen leisten ihnen Vorschuß.
Bernadette Devlin, die Jean d’Arc von Ulster, dereinst jüngste Abgeordnete in Westminster und vor kurzem selbst ein Opfer des Terrors, macht sich zum Sprecher der gegen London aufgestachelten Gefühle: „Hughes, McCreech und O’Hara werden voraussichtlich sterben. Vielleicht kann sie (die britische Regierung) jene töten, die für diese einspringen. Aber sie kann uns nicht alle umbringen. Und wenn sie uns nicht alle tötet, dann kann sie uns nicht aufhalten.“
Aufhalten wozu? Die selbstverfertigten Plakate und Schmieraktionen an den Häuserwänden in Dublin und Londonderry, ins Auge springendes Fanal des konfessionellen Haders, geben einen Hinweis: „Britische Schweine raus!“ sagt eine, und eine andere gibt das zündende Schlagwort wieder, das vom Romantiker der revolutionären Gewalt, Patrick Pearse, am Beginn des
Jahrhunderts ausgegeben wurde und seitdem nichts an Wirksamkeit eingebüßt hat: „Ein unfreies Irland wird niemals Frieden haben!“
Sands war der Mann, der an ein geeintes, freies Irland glaubte, der seinen selbstzerstörenden Beitrag geleistet hat, um Frieden und Versöhnung auszuschließen. Ian Paisley tut dies auf seine Weise.
Ist Sands der Held und Märtyrer, als der er nun im Gedächtnis seiner Anhänger erscheint? Seine Forderungen klingen nicht so revolutionär und unerfüllbar: Individuelle Gefängniskleidung, freie Kommunikation hinter Gittern, mehr Besuche und Briefe von außen, Erlaß von der pflichtgemäßen Gefängnisarbeit etc.
Diesen Zielen dienten auch die vorangegangenen Proteste, welche sich mit den Schlagworten „Leintuch“ und „Schmutz“ verbinden. In beschränktem Maße ist die Regierung bereits diesen Forderungen nachgekommen.
Die Ansprüche unter Selbstmorddrohung, also in gewissem Sinne: Erpressung, gehen viel weiter, zielen auf eine Sonderbehandlung der IRA-Häft- linge überhaupt, werden mit solchem Nachdruck erhoben, um den nach Terrorakten Verurteilten und - wie im Falle des Hungerstreikers Hughes - des Mordes Überführten eine Sonderstellung zu erwirken. Diese sollen nicht wie gemeine Verbrecher behandelt werden, nicht wie Kriminelle, sondern wie politische Häftlinge, wie Kriegsgefangene.
Tatsächlich war gefangenen IRA- Männern in der ersten Hälfte der siebziger Jahre dieser Sonderstatus zuerkannt, bis ihm 1975 der damalige Nordirlandminister Melvyn Rees ein Ende gesetzt hat. Die Folge: Heute erfreut sich noch etwa ein Fünftel der 1500 inhaftierten IRA-Gefangenen dieses Vorrechts.
Der Selbstmord Sands ist nichts anderes als der Versuch, die politische Gewalt zu legitimieren. Dieser Forderung konnte Thatcher nicht nachgeben, selbst auf die Gefahr hin, die Weltmeinung gegen sich aufzubringen.
Die Premierministerin zeigte sich standhaft gegenüber dem Druck aus dem Maze-Gefängnis, blieb unbeeindruckt von Interventionen. Sie läßt über humanitäre Angelegenheiten mit sich reden, nicht aber über politische.
Denn „Krimineller bleibt Krimineller“, das Gerichtsurteil über Terrorakte läßt keinen Spielraum für Privilegien und Vorrechte. Und in dieser Standfestigkeit erringt Thatcher ausnahmsweise die Zustimmung der Oppositionspartei.
Nordirlandminister Atkins hat im US-Fernsehen deutlich gemacht, wie sich Westminster den Weg zu einem dauerhaften Frieden vorstellt. Durch einen Prozeß der Überredung und Überzeugung bei Einschaltung der Republik. Will heißen: Die Zukunft des Nordens erheischt die Mitarbeit des Südens, weil am bornierten Veto der Loyalisten bisher alle Versuche gescheitert sind.
Thatchers auf lange Sicht anvisierte Lösung appelliert an die Vernunft, nicht an die Gewalt des Stärkeren. Aber dieser schwierige Prozeß hat durch den Tod des neuen Märtyrers einen schweren Rückschlag erfahren.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!