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Maze-Krise ohne Ende
Der neugewählte Abgeordnete der nordirischen Grenzbezirke Fermanagh und Süd-Tyrone, Owen Carron, geht nicht nach Westminster und vorerst denkt er auch nicht daran, den Treueeid eines britischen Parlamentariers zu leisten: „Ich will die Öffentlichkeit zuhause und in aller Welt auf die Situation im H-Block aufmerksam machen und es besteht keine Notwendigkeit, solches im Unterhaus zu tun!
Der einstige Wahlhelfer für den ersten Hungerstreiker Bobby Sands, der im letzten Mai als Abgeordneter und verurteilter Terrorist in den selbstgewählten Tod gegangen ist, beraubt sich dadurch nicht nur der Einkünfte eines Parlamentariers, er wird deshalb von der Regierung auch nicht als Abgeordneter im vollen Ausmaß respektiert.
Die Katholiken von Fermanagh und Süd-Tyrone haben geschlossen einem Mann ihre Stimme gegeben und zu einem überzeugenden Wahlsieg verhelfen, der die Kampagne zugunsten der Hungerstreiker im Belfaster Maze-Gefängnis als sein Programm betrachtet. Um diese seine Aufgabe zu unterstreichen ist Carron demonstrativ beim Begräbnis des letzten Opfers, des zehnten insgesamt in einer Folge, zugegen.
Wahlsieg und Sympathiekundgebung sind sehr wohl geeignet, die Entschlossenheit der noch lebenden Gefangenen, die ihr Leben als Protest einsetzen, zu festigen. Politischer Erfolg als Durchhalteappell für potentielle Selbstmörder. Die Folge wird sein, daß neue Särge aus der Haftanstalt herausgetragen werden.
Unvermeidlich wird die Frontstellung der beiden Gemeinschaften in der Provinz weiter verhärtet, sofern die Schraube des Hasses und der Unversöhnlichkeit überhaupt noch weiter angezogen werden kann. Protestantischen Extremisten vom Schlage Pastor Paisleys liefert der Wahlgang ausreichend Munition, um antikatholische Gefühle zu schüren, alte Ressentiments zu beleben, Vorurteile zu vertiefen.
Somit hat Carrons Wahlsieg die Situation um ein Stück weiter weg von der einzigen Möglichkeit gebracht, die allein auf lange Frist Aussicht auf Frieden bietet: Nicht von London oder Dublin kommt die Lösung, sondern im Gespräch von Katholiken und Protestanten. /
Die katholische Kirche hat die Hungerstreiker endlich doch unmißverständlich aufgefordert, von ihrer selbstmörderischen Aktion abzulassen.'
Kardinal Thomas O. Fiach, der Primas von ganz Irland, ebensowenig ein Anhänger des Maze-Protestes, kritisiert Premierministerin Margaret Thatcher scharf in ihrer Handhabung der Krise: Sie verstünde nicht, wie stark die Selbstmorde auf die Jugend des Landes wirkten.
Kritik an Thatcher auch aus dem , Nachbarland. Der neue Premier Garret Fitzgerald, beängstigt über eine Ausbreitung der Gewalt über die Grenzen in sein Land, wirft der britischen Premierministerin Verstocktheit und Inflexibilität vor, drängt auf Einlenken und Einwilligung in die Forderungen aus dem H-Biock des Belfaster Gefängnisses.
Carrons Kampagne läuft an, er will die Trommel für die Sache der Hungerstreiker in der Weltöffentlichkeit rühren: vor den internationalen Organisationen, vor der Menschenrechtsorganisation, deren Mission in Belfast vor kurzem Schiffbruch erlitten hat, vor der UNO, in Dublin, im Vatikan und natürlich in der Downing Street.
Davon erhofft sich der Mittelsmann verstärkten Druck auf Thatcher, nachzugeben, den ersten Schritt zu tun. Und wie dieser aussieht, ist von Carron vorgezeichnet: „Die Gewährung der fünf Forderungen ist die einzige Möglichkeit, eine Lösung zu finden.“
Gemeint ist der Katalog von Ansprüchen, deretwegen verurteilte Terroristen der Reihe nach in den Freitod gehen: Privatkleidung für Häftlinge, freiere Kontakte unter den Gefange
nen, mehr Besuche, Pakete und Post, Wiedergewinnung des durch die verschiedenen Proteste verwirkten Straferlasses, Befreiung von der üblichen Gefängnisarbeit.
Es sind Forderungen, die alle Gefangenen angehen, behaupten die Drahtzieher der Vorgänge im Maze- Gefängnis. Sie kommen dem gleich, was stets gefordert und seit 1978 entschieden abgelehnt worden ist, entgegnet London: Politischer Status für Kriminelle, diese solchermaßen vor anderen auszeichnend und šie wie Kriegsgefangene behandelt.
Thatchers Dilemma ist durch Schweigen nicht zu beseitigen. Lenkt sie ein, dann verschafft sie den irischen Terroristen einen Propagandaerfolg und stößt die Protestanten vor den Kopf. Tut sie weiter nichts, verweigert sie jedem Mittelsmann Gehör, dann setzt sie sich einem Sturm von außen aus, erlaubt, daß das Sterben im Maze-Gefängnis weitergeht, die Krise anschwillt und Gewalt aufbricht, ähnlich den Randerscheinungen beim letzten IRA-Begräbnis.
Ein Ende der Krise ist nicht abzusehen, jetzt weniger als vor dem Wahlsieg Carrons.
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