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Erpressung in Westminster

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Obgleich sich der Verdacht aufdrängt, daß die Brandstiftungen und Briefbomben, die London beunruhigen, von der IRA stammen, fehlen dafür noch überzeugende Beweise. Allerdings gleichen die Techniken denen, die in jüngster Zeit in Irland angewandt wurden.

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Obgleich sich der Verdacht aufdrängt, daß die Brandstiftungen und Briefbomben, die London beunruhigen, von der IRA stammen, fehlen dafür noch überzeugende Beweise. Allerdings gleichen die Techniken denen, die in jüngster Zeit in Irland angewandt wurden.

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Außerdem scheint es gute Gründe dafür zu geben, warum die IRA zu diesem Zeitpunkt ihre Terrorkampagne auf England ausdehnt. Man muß sich daran erinnern, daß es eines der erklärten Ziele der IRA ist, die britischen Streitkräfte zum Abzug aus Norditalien zu zwingen. Ihre Bemühungen, dies durch direkte Angriffe auf britische Truppen zu erreichen, sind jetzt offensichtlich gescheitert, jjieser Sommer war für die Provisorische IRA eine Katastrophe. Viele ihrer Anführer wurden gefaßt. Mehrere ihrer Untergebenen kamen ums Leben — oft fielen sie ihren eigenen Sprengsätzen zum Opfer — und viele weitere konnten verhaftet werden.

Es liegen einige Beweise dafür vor, daß die Provisorische IRA in Nordirland sich gezwungen sieht, ihre traditionelle Einteilung in Bataillone und Kompanien aufzugeben und eine Reihe kleinerer selbständiger Einheiten zu bilden. Ein Vorteil dieses Systems wäre, daß die Gefangennahme eines führenden Mitglieds nicht notwendigerweise zur Identifizierung und Festnahme vieler anderer führt.

Die Provisorische IRA hat Angriffe auf britische Truppen weitgehend aufgegeben und konzentriert sich nur auf bequemere Ziele. Zum Beispiel wurde vor den Unterkünften von

Soldatenfamilien — in einem Auto versteckt — eine Bombe gelegt. Bei der Explosion erlitten Frauen und Kinder Verletzungen.

In diesem Punkt unterscheidet sich die Provisorische IRA erheblich von der Offiziellen IRA. Die letztere ist nicht nur marxistisch eingestellt, sie ist auch politisch erfahrener. Sie hat aus bitterer Erfahrung gelernt, daß rücksichtslose Bombenangriffe auf unschuldige Zivilisten — also Gewalttätigkeit zum Selbstzweck — ihr gerade jene Schicht der Arbeiterklasse entfremdet, deren stillschweigende Unterstützung die IRA als Voraussetzung für Erfolge braucht.

Vor 35 Jahren, also gerade vor dem Ausbruch des letzten Krieges, dehnte die IRA, nachdem es ihr nicht gelungen war, in Irland eine Wirkung zu erzielen, ihre Gewaltkampagne auf England aus und legte Bomben an öffentlichen Plätzen, was den Tod und die Verstümmelung vieler Menschen zur Folge hatte. Diese Bombenangriffe der IRA förderten die Sache des irischen Nationalismus keineswegs, sie riefen nur krasse Ablehnung und in der Tat eine gewisse antiirische Einstellung in England hervor.

Das gleiche würde heutzutage passieren. Im Augenblick befinden sich mehrere hunderttausend Menschen in England, die irischer Abstammung sind und die es vorziehen, dort zu arbeiten. Unter ihnen ist sicher eine Handvoll IRA-Anhänger, die dazu überredet oder durch Erpressung dazu gezwungen werden könnten, Bombenanschläge zu verüben. Jedoch würde eine derartige Terrorkampagne die britische Regierung keinesfalls dazu veranlassen, ihre Nordirlandpolitik zu ändern. Bombenanschläge würden sicherlich zu keinem Abzug der Truppen führen. Ihr einziges Resultat wäre das Aufkommen von Sympathie in England für diejenigen Bewohner Nordirlands, die vier Jahre lang eine Terrorkampagne auszuhalten hatten. Es würde den Entschluß der Regierungen in London und Dublin stärken, eine Organisation auszumerzen, die soviel dazu beigetragen hat, die guten Beziehungen zwischen dem britischen und dem irischen Volk zu vergiften.

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