"Die Extremisten haben gewonnen!"

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Konflikt-Experte Franz Valandro betont das nach wie vor große gegenseitige Misstrauen in Nordirland und fürchtet eine "Nordirlandisierung" im Baskenland.

Die Furche: Herr Valandro, in Ihren Vorträgen und Publikationen nennen Sie "Power Sharing" als das Erfolgsrezept für die Aussöhnung der verfeindeten Lager in Nordirland. In der Region selbst sagen jedoch Kritiker, die politische Macht werde nicht von beiden Seiten gleichermaßen geteilt, sondern bloß untereinander aufgeteilt ("Power Splitting").

Franz Valandro: Ich kenne diese Kritik, für mich handelt es sich dabei jedoch um eine Übergangserscheinung. Power Sharing wird in vielen Regierungsbereichen bereits erfolgreich umgesetzt, bis sich dieses Modell ganz durchsetzt, braucht es aber noch Zeit. Der Austausch der handelnden Personen - zum Beispiel der für Mai angekündigte Rücktritt von Regierungschef Ian Paisley - wird die Kultur des Power Sharing ebenfalls besser zur Geltung bringen.

Die Furche: Ein Knackpunkt dabei ist die politische Verantwortung für die nordirische Polizei und deren Zusammensetzung - ist das Machtmonopol gerecht verteilt?

Valandro: Auch das dauert! Die Polizei in Nordirland war immer ein protestantisches Machtinstrument. Mit der bevorzugten Einstellung von katholischen Polizisten versucht man jetzt diese alten Strukturen zu ändern. Wie langwierig das sein kann, sehen Sie ja auch in Österreich, wo in der Polizei Menschen mit Migrationshintergrund nach wie vor eindeutig unterrepräsentiert sind. Das zu ändern, geht nicht von heute auf morgen. Doch in Nordirland wurde schon einiges erreicht: Die Polizei wird heute von der katholischen Bevölkerung mehrheitlich und anders als früher auch als "ihre Polizei" wahrgenommen.

Die Furche: Gilt das auch für den Frieden allgemein - wird der von den Nordiren als "ihr" Friede empfunden und nicht als von oben verordnet?

Valandro: Der Friedensprozess in Nordirland ist ganz klar ein Top-Down-Prozess. Das war auch beabsichtigt, dass der Friede oben vorgezeigt und an der Basis nachgelebt wird. Denken Sie nur an die riesige symbolische Bedeutung, die man dem Handschlag zwischen den politischen Erzfeinden beigemessen hat. In den letzten Jahren steigt als Folge davon auch die Zahl derjenigen, die sich nicht als Briten oder Iren, sondern als Nordiren deklarieren. Das sind rund 20 Prozent der Bevölkerung und interessanterweise in der Mehrheit Katholiken.

Die Furche: Ich hätte eher geglaubt, es sind mehr Protestanten, die sich - enttäuscht von England - als Nordiren definieren.

Valandro: Die Protestanten, die sich von England verraten fühlen, gibt es auch. Vor allem als Nordiren erklären sich aber die Angehörigen der katholischen Mittel- und Oberschicht, die mit den Gesellschaftsmodellen in der Republik Irland nicht konform gehen. Diese beiden gegensätzlichen Gruppen bilden den Kern dieser neuen nordirischen Identität und votieren für ein von Großbritannien und Irland unabhängiges Nordirland. Das wird es aber so nicht spielen - auch aufgrund der großen Differenzen zwischen diesen Gruppen.

Die Furche: Wie stark ist generell noch die Lagermentalität verbreitet?

Valandro: Man darf das nicht zu optimistisch sehen. Es besteht nach wie vor ein großes Misstrauen zwischen den Lagern. Ein berühmtes Wandbild in Belfast beschreibt diese Einstellung recht gut. Da steht auf der einen Seite: "Prepared for peace" - "Vorbereitet auf den Frieden" - und auf der anderen Seite: "Ready for war!" - "Bereit für den Krieg!"

Die Furche: Was ist schlussendlich der Grund, dass die Bereitschaft zum Frieden überwiegt?

Valandro: Das hat handfeste ökonomische Gründe. Die finanziellen Zusicherungen vor allem von Großbritannien und aus der EU haben den Friedensprozess vorangetrieben. Und auf beiden Seiten hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass der Konflikt militärisch nicht zu lösen ist. Beide Lager waren in einer Sackgasse, wo es kein Weiterkommen gab. Beide Seiten waren wirklich am Ende, auch von ihren Ressourcen her. Doch es musste soweit kommen, denn erst in dieser Situation sind beide Seiten von ihren radikalen Positionen abgegangen.

Die Furche: Haben die extremen Protagonisten auf beiden Seiten, Gerry Adams und Ian Paisley, damit sich selbst und ihre Ideale verraten?

Valandro: Das Interessante am nordirischen Friedensprozess ist, dass die moderaten Parteien auf beiden Seiten zerbröseln. Die Parteien, die den Übergang zum Frieden getragen haben, sind daran gescheitert. Und die Extremisten auf beiden Seiten haben gewonnen und orientieren sich jetzt sehr pragmatisch. Für mich haben Paisley und Adams ihre Ideale nicht verraten, sie versuchen, ihre Ziele jetzt auf einem anderen Weg zu erreichen.

Die Furche: Das trifft sicher auf die "Sinn-Féin"-Partei zu, die ihren Gefolgsleuten die Vereinigung von Nordirland mit der Republik Irland bis 2016 verspricht; aber was versprechen sich die Protestanten?

Valandro: Ian Paisley und seine DUP haben das Karfreitagsabkommen ursprünglich abgelehnt und sind schließlich selbst ein Teil davon geworden. Paisley war dazu gezwungen, ansonsten wäre die politische Macht von Belfast weg nach Dublin und London gegangen. Auch die Befürchtung, dass das Karfreitagsabkommen die Konfliktstruktur umkehrt und eine militante protestantische Gegenbewegung einsetzt, hat sich nicht bewahrheitet. Auch die radikalen Protestanten haben sich auf das Abkommen zubewegt.

Die Furche: Was lässt sich aus dem nordirischen Friedensprozess für andere Konfliktregionen lernen?

Valandro: Ich bin skeptisch, wenn man das nordirische Modell als Lösung für alle möglichen Konflikte weltweit übernehmen will. Friede funktioniert nicht immer und überall so wie in Nordirland. In Sri Lanka hat man es ganz ähnlich probiert wie in Nordirland, bisher ohne Erfolg. Man muss auch aufpassen, dass man das nordirische Modell nicht zu sehr idealisiert, auch wenn einzelne Aspekte daraus sehr wichtig sind.

Die Furche: Welche?

Valandro: Entscheidend ist in jeder Konfliktlösung, dass die Ausschaltung der Gewaltebene und eine Verrechtlichung des Konflikts gelingt - dass also nicht mehr geschossen, sondern verhandelt wird. Dafür braucht es neben den Konfliktparteien externe und neutrale Mediatoren. Und beide Seiten müssen sich auf eine Kosten-Nutzen-Rechnung einlassen, die den Konfliktparteien vorrechnet, wieviel sie mit einer friedlichen Lösung gewinnen bzw. wieviel sie die Fortsetzung des Konflikts kostet.

Die Furche: Warum hat sich das noch nicht bis ins Baskenland, den zweiten "ewigen" europäischen Konfliktherd herumgesprochen?

Valandro: Im Baskenland ist die Konfliktstruktur anders, da geraten Zentralstaat und eine regionale Minderheit aneinander. Mittlerweile wächst jedoch die Polarisierung zwischen denen, die die Zugehörigkeit zu Spanien wünschen, also vor allem den spanischen Zuwanderern, und den Basken, die skeptisch gegenüber diesen Zuwanderern sind. Ich sehe für das Baskenland eine gewisse Tendenz zur Nordirlandisierung.

Die Furche: Im positiven Sinn, dass sich ein Friedensprozess entwickelt?

Valandro: Nein, im negativen Sinn. Bis jetzt war es ein Konflikt zwischen Region und Zentralstaat. Jetzt zeichnet sich in der Region selbst ein Konflikt ab, entlang der ethnischen Zuschreibungen Spanier und Baske und den Zuschreibungen Sprache und Herkunft.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

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