"Lassen Sie mich Ihren Atem riechen"

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Zum bevorstehenden Abgang von Regierungschef Ian Paisley überschlagen sich seine alten Todfeinde in ihrem Lob für den radikalen Prediger. Warum hat es vierzig Jahre Krieg und 3500 Tote für diese Aussöhnung gebraucht?

Im Park vor dem nordirischen Parlamentsgebäude Stormont in Belfast steht die Bronzestatue von Edward Carson. Das politische Lebenswerk des anglikanischen Iren ist der Verbleib Nordirlands beim Vereinigten Königreich, nachdem sich die Republik Irland 1921 für unabhängig erklärt hat. Dafür wurde der erste Unionist in Nordirland noch zu Lebzeiten mit einem Denkmal und nach seinem Tod mit einem Staatsbegräbnis geehrt.

In Stormont drinnen gibt Ian Paisley, das lebende Denkmal des Unionismus in Nordirland, eines seiner Abschiedsinterviews: Am 9. Mai, genau ein Jahr und einen Tag nach seiner Vereidigung zum nordirischen Regierungschef, wird "der Mann, der für sein Nein berühmt war und in die Geschichte eingegangen ist, weil er Ja gesagt hat" (© Tony Blair), vom politischen Parkett abtreten.

"Ist er gesprungen oder wurde er gestoßen?", fragte die BBC nach Paisleys Rücktrittsankündigung. Zweifelhafte Geschäfte seines ebenfalls in der Politik tätigen gleichnamigen Sohns und sein angegriffener Gesundheitszustand, sollen dem 82-Jährigen den Abgang nahe gelegt haben. Beim Pressetermin in Stormont zeigt Pastor Paisley aber auch nach fast 50 Jahren im kirchlichen und politischen Rampenlicht keine Ermüdungserscheinungen. Seine linke Hand zittert ein wenig und im Laufe des Gesprächs rutscht er immer weiter in sein Ledersofa hinein, aber seine Stimme ist die eines Predigers, der gewohnt ist, ohne Mikrofon zu sprechen und unterbrechen lässt er sich nur von sich selbst und seinem Lachen über eigene Witze. Bei einem Frühstück mit dem letzte Woche zurückgetretenen irischen Premierminister Bertie Ahern soll der Paisley einmal gefragt haben, warum er ein gekochtes Ei isst. Paisleys Antwort: "Damit können Sie mich nicht so leicht vergiften!"

Gegen "Teufels Buttermilch"

Kritische Fragen von Journalisten oder politischen Gegnern quittiert Paisley mit der Aufforderung: "Lassen Sie mich Ihren Atem riechen!" - um zu prüfen, ob dem lebenslangen Abstinenzler kein mit des "Teufels Buttermilch" Alkohol gestärkter Feind entgegentritt. In Stormont zeigt sich Paisley gegenüber dem früheren Erzfeind und jetzigen Regierungspartner Sinn Féin jedoch versöhnlich und lobt die gute Zusammenarbeit mit seinem Vize, dem einstigen IRA-Kommandanten Martin McGuinness.

"Chuckle Brothers" - "Kicher-Brüder" wird das Gespann mittlerweile in Nordirland genannt und die nach außen getragene Harmonie kostet beide Stimmen unter ihren weniger von der Friedensabsicht des jeweils anderen Lagers überzeugten Parteigängern. Um die Hardliner in seiner Democratic Ulster Party nicht ganz zu enttäuschen, lässt sich deren Parteigründer schließlich doch noch ein paar Tiraden gegen Sinn Féin entlocken, "die wir zerschmettert haben", die sich der Polizeigewalt "unterwerfen musste", die von einem vereinigten Irland nur redet, "um ihre Anhänger glücklich zu machen", wo es doch keine Vereinigung zwischen der Republik Irland und Nordirland "mindestens 100 Jahre lang, ja nie" geben werde.

Auf die Frage, ob er etwas in seiner Politik bedauere, antwortet Paisley: "Ich würde heute vielleicht Dinge anders tun und sagen, aber ich bedauere nichts, meine Linie war die richtige!" Das würden ihm heute auch viele Katholiken bestätigen, zurecht, denn: "Well, ich habe bewiesen, dass ich meinen Nachbarn liebe!"

Gerry Adams, Sinn-Féin-Parteichef und jahrzehntelang republikanischer Antipode zum Unionisten Paisley, gehört zu denen, die dem früheren Erzfeind, der den Papst im Europaparlament als "Antichrist" beschimpft und Katholiken mit Ungeziefer gleichgesetzt hat, heute Blumen streuen: Einen zivilisierten, humorvollen und herzlichen Mann nennt Adams sein protestantisches Visavis, das "ich gerne besser kennen würde". Jahrzehntelang wollten Adams oder zumindest seine IRA-Kameraden denselben Paisley nur zu dem einen Zweck begegnen: um ihn umzubringen!

Hass gesät, Tote geerntet

"Stimmt ja nicht: Das ist nicht mehr derselbe Paisley", würden Adams und McGuinness und andere befriedete IRA-Kämpfer entgegnen. Aber entschuldigen zwei, drei Jahre auf dem Friedenspfad ein politisches Leben im Konfrontationskurs? Sicher nicht, und wenn Paisley in Stormont beteuert: "Well, ich war nie an der Gewalt beteiligt", ist das nur im strengen Wortsinn richtig. Paisley mag nie die Hand gegen einen anderen erhoben haben, aber er hat mit seiner Zunge getötet, wenn er in seinen Brandreden die protestantischen "Orangemen" gegen alle aufgehetzt hat, die im Verdacht standen, mit Rom und/oder Dublin zu sympathisieren.

Ed Moloneys, lange Irish-Times-Reporter in Belfast, hat sich kürzlich bei der Präsentation seiner Paisley-Biografie verwundert gezeigt, "dass diejenigen, die am meisten für das Andauern der Troubles verantwortlich waren, am Ende dafür belohnt wurden". Als Gegenargument wird gerne gesagt, dass nur ein Hardliner wie Paisley die Kehrtwende politisch überstehen und seine Anhänger vom Friedenspakt überzeugen konnte. Doch es sind Paisley auf der Unionisten- und Adams auf der Republikaner-Seite gewesen, die zuvor die Menschen radikalisiert und die Moderaten, die Friedensnobelpreisträger David Trimble und John Hume ins politische Aus gedrängt haben. Die Politiker, die jetzt den Friedensschluss für sich reklamieren, haben ihn zuerst jahrelang verhindert. Wobei zur Ehrenrettung Adams gesagt werden muss, dass dieser dem Karfreitagsabkommen zugestimmt hat - im Gegensatz zu Paisley. Warum? David Trimble meint: "Weil Paisley selbst Premierminister von Nordirland werden wollte - zu jedem Preis!"

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