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Pastor Ian Paisley und der Papst

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Die deutlichen Aussagen von Papst Johannes Paul II. an Gewalt (,Mord ist Mord"), ermöglichen es, auf Gewalt- und Kampfesideologie innerhalb des nordirischen Protestantismus hinzuweisen, ohne damit in den Verdacht eines Ablen-kungs- oder Entschuldigungsmanövers zugunsten der „katholischen" Irischen Republikanischen Armee (IRA) zu geraten. Harald Baloch, Bildungsreferent der Katholischen Hochschulgemeinde Graz, analysiert hier, die von Gewalt durch-setzte Theologie Ian Paisleys.

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Die deutlichen Aussagen von Papst Johannes Paul II. an Gewalt (,Mord ist Mord"), ermöglichen es, auf Gewalt- und Kampfesideologie innerhalb des nordirischen Protestantismus hinzuweisen, ohne damit in den Verdacht eines Ablen-kungs- oder Entschuldigungsmanövers zugunsten der „katholischen" Irischen Republikanischen Armee (IRA) zu geraten. Harald Baloch, Bildungsreferent der Katholischen Hochschulgemeinde Graz, analysiert hier, die von Gewalt durch-setzte Theologie Ian Paisleys.

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Der nordirische Protestantismus erweist sich zunächst - entgegen der pauschalierenden Darstellung in den mitteleuropäischen Massenmedien -als kaum überblickbare Vielfalt von Denominationen. Allein die Sonntagsgottesdienstankündigungen in den Samstagausgaben etwa des großformatigen „Belfast Telegraph" nehmen eine ganze Zeitungsseite ein.

Und zur großen Überraschung findet man da auch Einladungen in nicht weniger als 30 methodistische, 25 baptistische und 12 „Congrega-tionaT'-Kirchen sowie einer großen Zahl von Gottesdiensten, angefangen von. der „Belfast Spiritualist Church", der „Church of God", der „Apostolic Church" bis zu den insgesamt acht „Pentecostal 'Churches". Hinzu kommen enthusiastisch angekündigte „Erweckungsbegegnun-gen" und mindestens 20 „Gospel-Meetings" in eigenen „Gospel-Halls".

Die größte protestantische Kirche, die „Presbyterianische Kirche in Irland", zu der sich rund 30 Prozent der Bevölkerung Nordirlands bekennen, verfügt über 64 Kirchengebäude. Und das alles in Belfast, mit 400.000 Einwohnern das Zentrum der „Trou-bles", wie die gewaltsamen Konflikte oft beschönigend genannt werden.

Die religiösen Aspekte des Nordirlandkonflikts werden jedoch paradoxerweise nicht von den Methodisten, Baptisten und Preybyterianern oder der ebenfalls protestantischen „Church of Ireland" bestimmt, sondern von einer der kleinsten protestantischen Gruppen, der „Free Presbyterian Church" Reverend Dr. Ian R. K. Paisleys, zu der sich bei der Volkszählung 1971 nur 0,5 Prozent der Bevölkerung Nordirlands bekannten.

Es würde zu weit führen, die politischen Ursachen zu analysieren, die den Gründer der sektenhaft kleinen „Freien Presbyterianer" zum Wortführer des nordirischen Prostestan-tismus gemacht haben und ihm genügend Stimmen zur Wahl ins Londoner Unterhaus und jüngst auch ins Europaparlament brachten. Doch es sind auch nicht die politischen Ansichten Ian Paisleys, die eine politische Lösung des Nordirlandkonflikts absolut verhindern würden, sondern eine genuine, militante, viel zu wenig beachtete und leider auch von der nordirischen protestantischen Kirche oft schweigend tolerierte Theologie, die nun an Beispielen kurz skizziert werden soll.

Kern und Brennpunkt der Theologie Ian Paisleys ist ein abgrundtiefer Haß auf alles Katholische, der seine höchste Steigerung in kaum noch zu überbietender Aggressivität gegen das Papsttum und seine Vertreter findet. Paisley bezieht sich in Predigt und Schrift laufend auf die klassische, biblisch-prophetische Kritik der Reformatoren an den Renaissance-Päpsten, verzerrt dabei jedoch gleichzeitig das biblische Fundament

einer solchen Kritik auf unvorstellbare Weise.

Paisley predigte sozusagen als Einbegleitung zur Irlandreise des Papstes zum Thema „Die Blutschuld des Papsttums" und bezog sich auf Apokalypse, 17. Kapitel. Nie spricht er vom Papst oder von den Päpsten. „Rom", der abstrakte Mythos „Papsttum" ist für Paisley, der die Geschichte der katholischen Kirche seit der Inquisition rhetorisch überspringt, die „Hure Babylon", der „Antichrist", der das Lamm, sprich seine „Martyrs Memorial Free Presbyterian Church", verfolgt.

In der „Kirche Roms" gebe es keine Rettung, jede Form des Ökumenismus sei „blind, blöd und naiv". Als Ian Paisley heuer im Juli das „Komitee gegen den Besuch des Papstes in Belfast" gründete und Johannes Paul II. dabei als „Antichrist" bezeichnete, war dies also keine Uterarische Anspielung, wie wir vielleicht meinten, sondern tödlicher Ernst.

Nun wird Paisley, dessen Ideologie und dessen nahezu magischer Einfluß auf protestantische paramilitärische Gruppen wie etwa die UDA (Ulster Defence Army) offenkundig ist, oft als Einzelfall sogar innerhalb der „Freien Presbyterianer", manchmal

auch als im eigentlichen Sinn geisteskrank beschrieben. Gerade deshalb sollte man umso mehr darauf achten, welche psycho-soziale Grundstimmung zumindest der nordirischen Presbyterianer anzusprechen und zur Gewalt zu mobilisieren er imstande ist

Da wären zunächst der calvinische Ursprung und Grundzug des nordirischen Presbyterianismus hervorzuheben. Uberall und stets ist der calvi-nistische Christ von der Sünde, dem Bösen und dessen geheimnisvollen Verschwörungen umstellt. Er rettet sich in seine sündenfreie, „reine" Gemeinde, die der ständigen Verfolgung des übermächtigen Antichrist ausgesetzt ist, von ihren politisch-religiösen Führern aber durch einen apokalyptischen Kampf hindurch dem wiederkommenden Christus entgegengeführt wird.

Diese Führer bestimmen auch das jeweils Teuflische und Antichristliche, das nicht nur - gleichsam als naturgemäß - irrt Kathoüzismus entlarvt wird, sondern auch in der anglikanischen britischen Regierung, wenn diese Kompromißlösungen ins Auge faßt, welche die Herrschaft der

Presbyterianer über die sündigen Papisten in Frage stellen.

Die Verwandtschaft einer solchen, die Abgrenzung von allem Sündigen und Unreinem betonenden religiösen Grundhaltung zum Rassismus braucht nicht nur vermutet werden, sie läßt sich durch Paisleys offene Unterstützung der weißen Regierungen in Südafrika und Rhodesien und durch den Austritt der Free Preyby-terians aus dem Weltkirchenrat, genau wegen dessen Antirassismus-programms, belegen.

Ja, die nordirisclje Situation könnte sogar in eine Art „Antisemitismus" umschlagen, der sich nicht mit der Abgrenzung und Sicherung der protestantischen Herrschaft zufriedengibt. Die rascher wachsende katholische Bevölkerung Nordirlands würde dabei die „Juden" abgeben, die katholische Weltkirche oder irgendeine Form ökumenischer Zusammenarbeit die „internationale Verschwörung des Weltjudentums".

Das dazu nötige aggressive Potential ist durch die innere Struktur von Paisleys Gemeinde stets gegeben, die sich nur als aggressiv-pharisäisch beschreiben läßt. Mehr als alle Absurditäten von Ian Paisleys Bibelauslegung hat mir eine lange Gegenüberstellung von Christus und „dem" Papst in der Augustnummer des von Paisley herausgegebenen „Protestant Telegraph" zu denken gegeben.

Darin wird unter anderem festgestellt: „Christus hatte nichts, worauf er sein Haupt legen konnte. - Der Papst lebt in einem prächtigen Palast, umgeben von Reichtum und Pomp." Das so zum Ausdruck ge-■ brachte Abweichen der katholischen Kirche vom Evangelium scheint mir vergleichsweise harmlos zu sein gegenüber der Selbstgerechtigkeit der aus der Mittel- und Oberschicht gebildeten Freien Presbyterianischen Gemeinde, deren Mitglieder sehr wohl einiges haben, um ihr Haupt darauf zu legen.

Ein einfacher Schluß läßt sich aus all dem Gesagten schon ziehen: es wäre ungeheuer gefährlich, den nordirischen Presbyterianismus oder auch nur Ian Paisley selbst politisch oder religiös isolieren zu wollen. Im Gegenteil: eine Fülle auch internationaler Kontakte wäre notwendig, um entgegen der von Paisley wachgehaltenen Urangst der nordirischen Protestanten Möglichkeiten normalen Zusammenlebens von Protestanten und Katholiken aufzuzeigen.

Daraufhin seien vor allem die evangelischen Kirchen Österreichs und Deutschlands angesprochen, die sich vielleicht sogar bewußt unabhängig von ökumenischen Initiativen um Nordirlandkontakte bemühen sollten. Uns Katholiken wird Ian Paisley derzeit nicht einmal hören wollen. Wir sollten aber in das sonntägliche Gebet für den Papst auch ihn einschließen.

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