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Das Donnerwort des Pastors Paisley...

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Uber alles sprechen die nordirischen Offiziellen lieber mit ausländischen Journalisten als iiLer Pastor Paisley. Läßt sich das Thema schon gar nicht umgehen, so begnügen sie sich nach Möglichkeit mit dem flüchtigen Hinweis, dieser Paisley sei natürlich, einerseits, ein kleiner Hitler, anderseits aber völlig isoliert und ungefährlich. Ein Außenseiter, eine Randfigur, keinesfalls mehr.

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Uber alles sprechen die nordirischen Offiziellen lieber mit ausländischen Journalisten als iiLer Pastor Paisley. Läßt sich das Thema schon gar nicht umgehen, so begnügen sie sich nach Möglichkeit mit dem flüchtigen Hinweis, dieser Paisley sei natürlich, einerseits, ein kleiner Hitler, anderseits aber völlig isoliert und ungefährlich. Ein Außenseiter, eine Randfigur, keinesfalls mehr.

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Er hat jene behende Beweglichkeit, die an gewissen Dicken immer wieder in Erstaunen setzt. In der schwarzen Soutane wirkt er noch massiger, als er ist. Die Augen neigen dazu, etwas hervorzutreten, ein mächtiger Mund klafft zwischen fleischigen Wangen, das Haar ist in glänzende Wellen gelegt. Pastor Paisley hält sich meist leicht vorübergeneigt, Weil er die Menge derer, die verehrend zu ihm aüfblik- ken, schon rein körperlich überragt. Er ist nicht sympathisch, aber er beeindruckt auch seine Gegner.

Ian Paisley ist ein wiedergeborener Wesley. Ein Donnerprediger, dessen Zuhörer unter der Kanzel unter der Last ihrer Sünden zu stöhnen beginnen. Er richtet sie wieder auf, indem er ihnen das Bewußtsein vermittelt, auf der richtigen Seite zu kämpfen. Auf dem europäischen Kontinent weiß man kaum mehr über ihn, als daß er der Führer des fanatischesten Flügels im nordirischen Protestantismus ist. Aber seine Wirkung reicht weit über Irland hinaus. In der Martyrs Memorial Church, die 2500 Menschen faßt, gibt es ein Tonstudio, in dem seine Predigten rund- funkgerecht rnftgeschnitten Werden. Zweimal pro Woche werden-sie von einem amerikanischen Sender ausgestrahlt. In facettenreichen, zersplitterten, noch immer bekehrungseifrig gärenden Protestantismus der USA wird der Ire Paisley keineswegs als Anachronismus empfunden.

Er ist auch nicht so anachronistisch, wie ihn Mitteleuropa dreißig Jahre nach seinem letzten Sündenfall gern hätte. Wenn er hinter der Zeit ist, dann- nur um wenige Jahrzehnte. Seine Ideologie ist eine Mixtur aus religiöser und politischer Emotion, zurechtgeschnitten für die Bedürfnisse eines Landes, das seinen sozialen Frieden, sprich konservative Herrschaft ohne Störung durch sozialistische Kräfte, der künstlichen Konservierung religiöser Konflikte verdankt.

Ian Paisley ist ein Massenbeherrscher par excellence. Die Wirkungen,

die er anstrebt, gleichen eher denen eines Wesley, des berühmten Erweckungspredigers des siebzehnten Jahrhunderts, aber wer kann sagen, ob die sich grundsätzlich von denen eines Hitler unterscheiden?

Paisley ist ein Showmaster der Kanzel. Richtet sich zu seiner vollen

Größe auf und donnert. Denkt sein riesiges Gesicht zur Brüstung der Kanzel herab und scheint noch dem Entferntesten direkt ins Gesicht zu zischen. Er. beschwört Himmel, und Hölle, vor allem die Hölle. In seinen Predigten lodert noch das ewige Feuer. Und die Verdammnis ist noch ganz nahe. Belfast ist eine Stadt, wo die Kirchen die Bibel in Neonschrift zitieren und für ihre Messen mit Plakaten werben, auf denen die Welt in Atompilzen untergeht.

Religiöses und Politisches ist in Pais- leys Predigten eng ineinander verwoben. Nachher weiß kaum einer, was er wirklich gesagt hat. Nichts, worauf man ihn festnageln kann. Aber die Zuhörer verlassen die Kirche in einer Stimmung, die leicht in Gewalttätigkeit Umschlagen kann. Nach der Eröffnung der Martyrs Memorial Church saßen sie friedlich im Gras und nahmen Tee und Kuchen zu sich. In der folgenden Nacht kam es zu einem der großen Krawalle.

Die Kirche war zu klein für die Menschenmassen, die zur Eröffnung kamen, zwei riesige Zelte nahmen je tausend Menschen auf, Reihen von TV-Monitoren vermittelten ihnen jedes auf der Kanzel gesprochene Wort. Die erste Abendandacht zwei Tage später wurde zu einem intimen Happening messianischer Verzük- kung.

Paisley hat eine elektronische Orgel in seiner Kirche, deren Musik von überall und von nirgends zu kommen scheint, aber das modulationsfähigste Instrument ist seine Stimme. Er vermag mit ihr die Orgel zu übertönen und sie zu senken zum zartesten Pianissimo.

Paisley flüstert seinen Schäfchen die Frage zu, wer wohl bereit sei, sich ganz und gar aufzuopfern für Christus. Er fragt nicht rhetorisch, sondern er erwartet Antwort. Das Warten auf die erste sich hebende Hand weiß er zu einem an den Nerven zerrenden Schauspiel zu steigern. Dann meldet sich einer nach dem anderen, fast nur Frauen. Nach der Abendandacht verschwindet er mit ihnen in einem kleinen, mit Spannteppich und nordischen Stahlsesseln ausgestatteten Raum. Niemand weiß,

wofür sie dort angeworben werden. Die neue Kirche hat Paisleys Wirkungsmöglichkeiten vervielfacht. Sie hat mehr als zehn Millionen Schilling gekostet. Das Geld stammt „von den Anhängern“, ein US-Pastor namens Doktor Bob Jones von einer Bob-Jones-University in Greenville muß maßgeblich beigetragen haben, denn er ist Ehrengast und persona gratissima. Von seinem „Nonconfor-' mist College“ stammt Paisleys Doktortitel, ehrenhalber verliehen,; während Paisley im Gefängnis saß. Uber Jones’ Radiostation werden Paisleys Predigten übertragen.

Niemand weiß, wie viele Anhänger Paisley wirklich hat, wahrscheinlich nicht einmal er selbst. 5000 kamen zur Eröffnung, 5000 brachte er zu einem Sturm auf Stormont, das nordirische Parlament, auf die Beine. Seiner „Free Prebyterian Church“ mit 20.000 Gläubigen im ganzen Land entspricht die paisley hörige politische Gruppierung „The Ulster Defence Committee“, ein Major Bun- ting kommandiert dessen bewaffneten Arm, die „Ulster Protestant Volunteers.“

Paisleys tatsächlicher Einfluß ist eine große Unbekannte im Nordirland vpn heute- Die An ęsjenįheįt .der Armee verhindert alle Konfrontationen. Eine noch größere Unbekannte ist der potentielle Einfluß Paisleys unter Verhältnissen, die eine Ideologie der mit religiösen und pseudoreligiösen Motivationen amalgamier- ten Gewalt förden könnten.

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