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Morden im Namen Gottes

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Unter dem Zeichen des Kreuzes ist wahrhaftig unendlich viel gesündigt worden. Verblendung und Fanatismus haben Tod und Elend gebracht. Stets aber glaubten die Menschen, für ihr Verhalten die Billigung Gottes in Anspruch nehmen zu dürfen: Kreuzzüge, Ketzerverbrennungen, Religionskriege - die Zahl läßt sich in einer erschütternden Kette fortsetzen.

Die Rolle der Kirche in fast zweitausend Jahren ihrer Geschichte ist oft der Anlaß für Gegner und Zweifler, um die Diskrepanz zwischen Lehre und Wirklichkeit zu brandmarken. Dabei geht es nicht nur um Papst und Bischöfe als Territorialfürsten, die mit blutigen Händen Eroberungspolitik getrieben haben. Das gilt auch für jene Kämpfe, bei denen das Christentum mit Feuer und Schwert den Menschen aufgezwungen worden ist.

Vielmals beginnen schon Kinder zu fragen, wie das denn mit den zehn Geboten in Einklang zu bringen sei. Meine Antwort lautet stets, es sei unchristlich gewesen, müßte aber aus dem jeweiligen Zeitgeist heraus verstanden werden, denn: die Menschen waren eben nicht klüger. Sie glaubten, gottgefällig zu handeln, wo sie den Namen Gottes in furchtbaren Lettern geschrieben haben.

Doch dieses Argument ist schief, weil wir letztlich nicht besser geworden sind. Die Berufung auf Zeitgeist und Nicht-besser-wissen ist deshalb falsch, weü auch heute noch im Namen Gottes Terror ausgeübt wird.

In Nordirland wurde am 5. Oktober der zehnte Jahrestag des Bürgerkrieges begangen. Die Bilanz weist aus, daß mindestens 1864 Menschen getötet wurden und mehr als 30.000 Personen zum Teil schwere Verletzungen erlitten und Zeit ihres Lebens Krüppel bleiben werden. Eine Lösung des Problems zeichnet sich nicht ab, ja, sie ist weiter entfernt denn je. Damit ist auch für

die 1,5 Millionen Menschen in Ulster kein Ende der bestialischen grauenvollen Morde abzusehen.

Zehn Monate nach dem Aufflackern der Kämpfe zwischen Protestanten und Katholiken zogen im August 1969 britische Truppen in Londonderry ein, um einen Bürgerkrieg zu verhindern. Bisher kamen 289 britische Soldaten ums Leben und 3300 wurden verletzt. In Nordirland versuchen derzeit 14.000 britische Soldaten, die Ruhe wiederherzustellen, doch immer wieder gehen Bomben hoch, werden Menschen gekillt, wird wahnwitziger Terror ausgeübt.

Wahllos werden Bomben gezündet, auf der Straße, in Geschäften oder Wirtshäusern. Menschen werden zerfetzt, das Wimmern von Frauen und Kindern gellt den Herbeieilenden entgegen, wenn sie helfen wollen. Menschen werden von Trümmern erschlagen und sie werden zu lebenden Fak-keln.

Protestanten und Katholiken bekämpfen- einander. Protestantische Machthaber verwehren den Katholiken Rechte und die Untergrund-armees der IRA agiert im Namen Gottes.

Es war der verstorbene Papst Paul VI., der in einer Ansprache im Vatikan die

irische Bevölkerung beschworen hat, das Blutvergießen zu vermeiden. Aber das war auch schon alles. Katholiken und Protestanten in der ganzen Welt zucken die Achseln, sie schert dieser Kampf nicht. Wo sind jene Protestanten, die auf ihre anglikanischen Mitglieder Druck ausüben, und wo sind die Katholiken, die sich dagegen wehren, daß im Namen ihrer Kirche von irischen Mitgliedern Terror ausgeübt wird?

Ich meine, daß auch die Haltung der Kirche beschämend ist. Daß sie sich von der Mordarmee distanzieren müßte; jeder, der Mitglied oder Sympathisant der IRA ist, müßte exkommuniziert, aus dem Bund der Gläubigen ausgeschlossen werden. Sicher, damit ist der Terror nicht zuende, aber damit würde die Kirche das Signal setzen, daß sie nicht duldet, den Namen der Kirche Gottes für solche Schmutzigen Geschäfte zu verwenden. Hier fehlt der unentwegte Druck der Katholiken aus aller Welt, um den Gangstern von Ulster die Maske vom Gesicht zu reißen.

Warum schweigt die Kirche? Warum schweigen Katholiken in aller Welt? Warum schweigen Protestanten in aller Welt?

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