7058416-1991_26_20.jpg
Digital In Arbeit

Bestseller gegen Muslime

Werbung
Werbung
Werbung

Die Entwicklung in den islamischen Ländern macht Menschen in Amerika und Europa Angst. Man mag diese auf historische Traumata zurückführen oder auf die paternalistische Geringschätzung, die nicht nur hierzulande fremden Kulturen entgegengebracht wird. Konflikte zwischen einander fremd gegenüberstehenden Kulturen führen zu wechselseitigen Stigmati-sierungsprozessen, bei denen die eine Seite in der anderen die Verkörperung des Bösen sieht.

Die 444 Tage währende Geißelaffäre in Teheran, der demonstrative Jubel zu Salman Rushdies „Die satanischen Verse", derTodesbefehl gegen den Schriftsteller, die Selbstmordaktionen im Nahen Osten, die Interventionen im Libanon, der Golfkrieg Alliierte-Irak mögen als einige wenige Meilensteine des vielschichtigen Prozesses der Konfrontation genügen.

Als neues Thema der Konfrontation erweist sich das Memoirenbuch „Nicht ohne meine Tochter" von Betty Mahmoody, das in Österreich seit Monaten auf den Bestsellerlisten führt und von dem weltweit an die 30 Millionen Exemplare verkauft worden sind. Zum Buch gibt es bereits den Film, der seinerseits von der „Betty Mahmoody Story. Das Buch - Der Film - die Frau" (beide als Taschenbuch bei Bastei Lübbe) begleitet wird.

Iraner fühlen sich in ihrer Ehre gekränkt: Sie werden als schmutzig, unhygienisch, laut und kulturlos beschrieben, die von einer „Regierung fanatischer Irrer" beherrscht werden. Die Lebenssituation charakterisiert Mahmoody mit den Worten: „Insgesamt ergab sich eine seltsame Symphonie der Verdammten, wenn die Männer und Frauen hier ums Überleben kämpften." Die Speisegewohnheiten werden mit den Worten: „Sie wußten nichts von Hygiene, Ernährung oder Wohlgeschmack und scherten sich auch nicht darum" benannt.

Nicht verstehen können Iraner, daß Betty Mahmoody in ihrem Buch brutale Abrechnung mit ihrem Ehemann hält. Häufig wird ihm das Adjektiv wahnsinnig und geisteskrank beigegeben. Dafür spricht ihr heldenmütiger Kampf gegen männliche Unterdrückung Tausenden von westlichen Leserinnen aus der Seele. Daß Betty Mahmoody auch um ihre Tochter gekämpft hat, um sie in den Westen mitzunehmen, trifft den Solarplexus der Muttergefühle voll und ganz. Das Thema ist im hohen Maße emotional besetzt. Eine Frau wird ihrer Freiheit beraubt, wird geschlagen und gedemütigt, doch sie besiegt ihre Peiniger.

Hätte die Amerikanerin - es gibt keinen vernünftigen Grund an der Richtigkeit ihrer Behauptungen zu zweifeln - das Buch allein geschrieben, wäre es kaum so bekannt geworden. Durch das Engagement von William Hoffer, einem Bestsellerautor, der „Midnight Express" geschrieben hat, wurde ein solcher Erfolg überhaupt erst möglich. Technisch absolut perfekt, keinen zarten Hinweis auf die unbewußten Regungen vergessend, die Spannungssituation geschickt ausnützend, wird ein Klischee nach Hollywoodmanier aufgebaut: Da die Guten, hier die Bösen.

Das Klischee, das in den Western-filmen so erfolgreich war, wurde auf Mahmoodys Buch übertragen: Von den Kränkungen der Iraner während des Schah von Persien, von den sozialen Spannungen, den Verfassungsbrüchen der Amerikaner im Iran ist nichts zu lesen. Dafür steht ausdrücklich im Buch, daß in den USA Wohlstand, Kultur und elementare Menschenwürde gegeben seien.

Dem Sog dieses Erfolges folgen ähnliche Bücher: Im Erinnerungsbuch „Flucht aus dem Iran. Eine Frau entrinnt den Ayatollahs" von Sousan Azadi (Heyne Verlag) erzählt eine amerikanisierte Iranerin vom Absturz aus dem Leben in Saus und Braus während der Monarchie in ein Dasein, in dem die traditionellen Wertvorstellungen schlagartig wieder galten. Differenzierter als Mahmoody behandelt Azadi den Konflikt zwischen den Klassen reich und arm, zwischen den Völkern: Armenier, Irakis, Iranis, Aseris, Amerikaner. Auch dieses Buch hat eine Coautorin: Angela Ferrante. Geschickt sind Zeitläufe in Überblendungen gelegt. Daher ist Zweifel angebracht, ob die Information oder doch nur die spannende Story ankommt.

Auch die Erinnerungen „Eine Frau hat keine Rechte. Ein Schicksal im Iran" von Manny Shirazy (Heyne) und „Der Schleier des Schweigens. Von der eigenen Familie um Tode verurteilt" von Djura (Heyne) sind kaum dazu angetan, das Bild wirklich so zu weiten, daß man erkennt, wie eine fremde Kultur funktioniert.

Wichtig wäre, Literatur zu verbreiten, die nicht Grauenhaftes um des Grauenhaften willen erzählt, sondern eine Innensicht der Kultur bietet, die gestattet zu verstehen. Verstehen bedeutet nicht billigen. Man kann immer noch gegen die Rolle der Frau in den islamischen Ländern sein.

Möglichkeiten, die Wahrheit zu erfahren, gibt es seit Jahren: Arbeiten von Assia Djebar, Sahar Khalifa, Alifa Rifaat, Nawal el Saadawi artikulierten die Probleme ihrer Rolle in einer islamischen Gesellschaft facettenreich und erfordern Konfrontation, während Bestseller meist Vorurteile bedienen. Ohne Konfrontation wird es keinen interkulturellen Dialog geben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung