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Keine Angst vor heiklen Fragen

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Schon in Willy Kramps Bericht „Brüder und Knechte” — Aufzeichnungen seiner Erfahrungen in Hitlers Krieg und jahrelanger russischer Gefangenschaft — fiel das Bemühen des Autors auf, sich heiklen Fragen zu stellen, den Ursachen für jene merkwürdige Bewußtseinsspaltung auf den Grund zu kommen, in die sich im Dritten Reich auch anständige Deutsche flüchteten, um Gewissenskonflikten und persönlichen Entscheidungen • aus dem Wege zu gehen. Kramp kommt von dieser Problematik nicht los. Die Verwirrung der Gefühle im Hitler- Staat; die Konflikte deutscher Soldaten im zweiten Weltkrieg, die keine Anhänger des Regimes waren, sich aber gegenüber dem sichtbaren Bösen in schuldhafte Ahnungslosigkeit zu retten versuchten; die Unzulänglichkeit des Menschen, wenn er, wie etwa in den russischen Gefangenenlagern, zwischen dem eigenen Überleben und der Preisgabe von Kameraden zu wählen hatte — diese Themen werden auch in dem neuen Erzählband des Autors wieder aufgegriffen.

Es ist von Menschen die Rede, die, selbst unschuldig an den Greueln oder Opfer des Systems, doch nicht die Kraft finden, aktiv, mit dem Einsatz ihres Lebens, die Verbrechen zu bekämpfen. Versäumnisse, die in die Zukunft hineinwirken und für die Betroffenen ein „normales” Leben verstellen.

Im Grunde sind Kramps „Helden” selbst Opfer der Gesellschaft, in der sie leben; persönlich „unschuldig”

können sie die Unterlassung aktiven Widerstands nicht verwinden. Die Besten aus der Generation des Autors kennen diese Problematik aus eigener Erfahrung.

Am Rande ist in Kramps Erzählungen auch von jenen anderen die Rede, die, Schergen und Schinder des Dritten Reiches, auch im nachhinein keine Skrupel empfinden und in jeder Situation die eigene Haut zu retten wissen. In der letzten Geschichte „Die Sünder” rücken vier Kriegsverbrecher in einem russischen Gefangenenlager sehr bald in die Reihen der Privilegierten auf und werden als erste „gesund und in guter Kleidung” in die Heimat entlassen.

Gerade in der Gegenüberstellung dieser konträren Charaktere und Verhaltensweisen wird, im unbestechlichen Aufdecken der Vergangenheit, die unbewältigte Gegenwart ins Blickfeld gerückt, die Frage nach Schuld und Unschuld des Einzelnen in sehr unbequeme, aber heilsame Zusammenhänge gestellt.

Kramp richtet nicht, er fragt; aber er fragt so, daß der Leser sich persönlich angesprochen und zur Stellungnahme gezwungen ist. Diejenigen, die so beredet einen Schlußstrich unter die belastende Vergangenheit gezogen wissen wollen, werden dieses Buch kaum lesen, und das ist schade.

GORGO — ODER DIE WAFFENSCHULE. Erzählungen von Willy Kramp. Biederstein-Verlag, München 1970. 231 Seiten, DM 16.80.

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