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Die Mitte des Lebens

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DER LETZTE FEIND. Aufzeichun-gen von Willy Kramp. Biederstein-Verlag, München 1969, Leinen, 281 Seiten. DM 19.80.

Schon in Willy Kramps großem Bericht „Brüder und Knechte“ — Aufzeichnungen seiner Erfahrungen in Hitlers Krieg und jahrelanger russischer Gefangenschaft — fiel der redliche Wille des Autors auf, sich heikle Fragen zu stellen, den Ursachen für jene merkwürdige Bewußtseinsspaltung auf den Grund zu kommen, in die sich in der Zeit des Dritten Reiches auch anständige Deutsche flüchteten, um Gewissenskonflikten und persönlichen Entscheidungen aus dem Wege zu gehen. Jetzt liegt ein neuer Bericht Kramps vor, in dem er vom Leben und langen, bitteren Sterben seines ihm sehr nahestehenden Bruders Erich er-

zählt; eines evangelischen Pfarrers, der Gott und die Menschen liebte, der gern auf der Welt war und sich in einer ganz neuen Weise mit ihr und den Rätseln des Daseins auseinanderzusetzen hatte, nachdem er vom Krebs beiallen wurde.

Nüchtern und schonungslos beschreibt Willy Kramp die verschiedenen Stadien der Krankheit, dazu die Innere Wandlung des Bruders wä'hrend der fortschreitenden Zerstörung des Körpers. Das Schwanken des Patienten zwischen Hoffnung auf Gesundung, Resignation und Hoffnungslosigkeit Angst, nackte Angst, quält auch diesen Gläubigen, nicht eigentlich Angst vor dem „letzten Feind“, dem Tod, aber Furcht vor den Schrecken und Leiden, die vorher zu bewältigen sein werden. Verlorenheit und Hilflosigkeit des Kranken inmitten einer liebevollen Familie, eines großen Freundeskreises, verständnisvoller Ärzte, zu denen auch der mit dem Kranken befreundete Hans Graf von Lehndorff gehört In einem wundervollen Brief unterrichtet er seinen Patienten ganz ehrlich über den Krankheitsbefund-.

Es gibt auch helle Stunden in den schweren Jahren der Krankheit des Erich Kramp. Bewegende Versuche des Patienten, sich von Angst und Traurigkeit zu lösen... bis zuletzt am Leben der Familie und der Freunde Anteil zu nehmen, im Glauben „Ja“ zu sagen zu dem auferlegten harten Schicksal. „Krankheit und Tod bringen uns an eine Grenze — wohlgemerkt nicht an den Abgrund; denn an dieser Grenze ist die Mitte des Lebens, weil hier Gott selbst ist...“, heißt es in einem Rundbrief des Kranken an „viele Freunde, Schwestern und Brüder“.

In den Bericht über Krankheit und Tod seines Bruders hat Willy Kramp die glücklichere Vergangenheit eingeblendet, die in vielen Gesprächen der Geschwister oft und lebendig beschworen wird. Die Kinderjahre im Elsaß vor Beginn des ersten Weltkriegs, unbeschwerte Jugendzeit in Pommern und Ostpreußen, Studienjahre an der Königsberger Universität reich an fruchtbar menschlichen Begegnungen, aber doch schon beschattet von der Entwicklung vor und während des Hitler-Regimes. Erinnerungen an die sehr aktive und engagierte Arbeit des Bruders, zunächst als Vikar der Bekennenden Kirche, später, nach dem Krieg und englischer Gefangenschaft als Pfarrer im Rheinland in einem weitverzweigten Wirkungskreis.

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