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Wie ist es mit der angeblichen Liberalisierungswelle in den Oststaaten beschaffen, und welche Erwartungen dürfen die Weststaaten in diese Liberalisierungstendenzen setzen? Wir kommen zu einer richtigen Antwort, wenn wir überlegen, was hach unseren Auffassungen unter Liberalisierung der Wirtschaft zu verstehen ist. Im Westen bedeutet das Wort Liberalisierung Freizügigkeit im Waren- und Zahlungs verkehr, der sich nach den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage richtet. Das östliche Vokabel Liberalisierung bedeutet ganz etwas anderes. Zunächst ist unter Liberalisierung in den Oststaaten eine gewisse Dezentralisierung der eben nach wie vor bestehenbleibenden, staatlichen Verwaltung zu verstehen. Wenn früher wirtschaftliche Entscheidungen, auch kleinsten Umfanges, ausschließlich von den Zentralstellen getroffen wurden und Lokalbehörden beziehungsweise Fabriksleitungen einfach Exekutivorgane gewesen sind, so versucht man jetzt, die Entscheidungsbefugnis dieser unteren Organe zu erweitern. Damit hat sich aber systematisch gar nichts geändert! Nach wie vor ist es eine amtliche Stelle, die die Entscheidungen zu treffen hat. Es wird sich auch in Zukunft an diesem System, selbst bei noch weiter fortschreitender Dezentralisierung, nichts ändert! können, weil es immer wieder der

Staat oder eine andere öffentliche Institution sein muß, die als Eigentümer der Produktionsmittel die Entscheidungen zu treffen hat oder in deren Auftrag die amtlich bestellte Betriebsleitung dies tut.

Terminologische Divergenz

Ein weiteres Element dieser sogenannten Liberalisierung ist die Einführung der Rentabilitätsverpflichtung für gewisse Industriezweige.

Der Unterschied zu früher besteht dabei in diesen Industriezweigen darin, daß ihre finanziellen Bedürfnisse — sprich Defizite — nicht einfach mehr durch die Staatsbank abgedeckt werden, sondern die Betriebsleitungen selbst sehen müssen, wie sie mit der Kostenrechnung zurechtkommen. Auf eine Frage, die ich selbst vor Jahresfrist in Belgrad an einen Betriebsdirektor gestellt habe, was er denn mache, wenn er mit seinen Erträgnissen die Kostengrenze nicht erreicht, erhielt ich die lapidare Antwort, daß dann eben so viele Arbeitskräfte entlassen würden, bis die Einsparung auf dem Lohnkonto das Defizit abzudecken imstande wäre. Eine solche Vorgangsweise erscheint uns als Marktwirtschaftler sonderbar, aber wir dürfen nicht übersehen, daß der Arbeitsproduktivitätsquotient in den kommunistischen Unternehmungen nicht dem einer marktwirtschaftlichen Betriebsführung entspricht.

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