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Mit den Farben leben

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Der wahrhaft künstlerische Mensch fällt meist so sehr aus dem bürgerlichen Rahmen, daß er nicht selten für seine Zeitgenossen unverständlich und daher fast provokant wirkt. In einem Leben, das ausschließlich vom formalen Prinzip getragen wird — so daß dieses Formale zum Lebensinhalt aufsteigt — sind naturgemäß Äußerlichkeiten von größter Bedeutung. Kleidung, Lebensgewohnheiten, die familiäre Atmosphäre — all dies verwandelt sich unter dem Einfluß einer künstlerischen Persönlichkeit zu einer spannungsgeladenen Besonder heit, in welcher Einfälle und Ideen entstehen, die einer sogenannten legung über religiöse und soziale Themen. Die Geheimnisse des Daseins wurden unter den Händen der Künstlerin Bilder von unerhörter Ausdruckskraft; manche der Titel sprechen eine sehr beredte Sprache: „Selig sind, die in dem Herrn Sterben“, „Unsrer Frauen Tänzerin“ (aus einer Marienlegende), „Wo ging meine Seele hin“ (aus: Lappenmärchen) oder auch: „Vom Wasser steigt die schöne Stadt“ (aus einer Passau-Serie).

Ähnlich bewegt und doch wieder ganz anders sind die Glasfenster der Bilger, in denen tiefe, satte Farben die Darstellung der Bilder in fast spürbare Bewegung versetzen. Das Spiel dieser verschiedenen Schattierungen, die Konkurrenz, in die sie eintreten, ist allein schon so stark und fesselnd, daß die Umrißzeichnungen der einzelnen Gestalten nur noch wie ein Zugeständnis an eine kleinliche Forderung nach sprichwörtlicher Deutlichkeit zu sein scheinen; das wesentliche Moment der Bilger- Fenster bleibt der Farbrhythmus und die Dynamik, die in diesem Verhältnis entsteht.

Es gibt viele Glasfenster der Bilger. Manchen liegen konkrete Wünsche der Auftraggeber zugrunde, denen die Künstlerin mit Einfühlungsgabe und Treue zur künstlerischen Intention gerecht wurde. Es ist aber natürlich, daß ihre besondere Liebe jenen Werken gehörte, die eine freie Entfaltung erlaubten. In diesem Sinn empfand Margret Bilger die Fenster in Heiligenkreuz als zu ihren wichtigsten gehörend; in Salzburg-Hermau liebte sie besonders ihre Engelfriese und immer wieder sprach sie auch von der Don-Bosco-Kirche in Wien, deren Fenster das „Hohe Lied“ zum Thema hatten.

Was nun den Fenstern als Dynamik, als glühende Vitalität innewohnt, wandelt sich in den Aquarellen — Blumenstücken und Landschaften — zurück in jene archaisch anmutende Übereinstimmung mit der Welt, die uns trägt: ruhig fließt der kleine Fluß durch eine stille Wiese, er ist gesäumt von Büschen und über diesem Idyll verrinnt die Sonne wie eine Selbstverständlichkeit. Ein anderes Mal stehen Bäume wie Zeichnungen in dem Weiß der verschneiten Landschaft, frierend, entlaubt und dennoch majestätisch, weil sie wirklich sind und ganz sie selbst. Es ist die vertraute heimatliche Landschaft, die hier gestaltet wird und man weiß plötzlich, daß Margret Bilger selbst ein Teil dieser Landschaft war — so sehr, daß sie uns heute noch zwingt, diese ihre

Welt mit Bilger-Augen anzusehen und mitzuempflnden.

Aber Pinsel und Farbe, Messer und Stift sind Werkzeuge, die sich in jede willige Hand einfügen — ob Mann oder Frau. Wenn die Bilger Frau war und sein wollte, dann griff sie zur Wolle und zum Webrahmen, wob ihre lichten, weichen, ein wenig wehmütigen Gebilde, die sie so gerne ihre „Liedchen“ nannte: das „Mailiedchen“, das „Pflngstlied- chen", das „Marienlied“.

Diese Webereien waren für Margret Bilger der Inbegriff von Licht und Helle und sie waren ihr auch ein Zeichen für den langen mühsamen Weg, den sie menschlich und künstlerisch bisher zurückgelegt hatte: Aus dem Dunkel eines schweren Geschickes in die erlöste Freiheit — ein Weg, der sich in den Werken und deren zunehmendem Licht spiegelt. Folgerichtig wölbt sich so der Bogen der künstlerischen Entfaltung von den schweren Ölbildern und Holzschnitten über die magischen Fenster hin bis zu den hellen gewichtslosen Farbenliedem aus Wolle. — Und dieser Bogen der wachsenden Helligkeit ist das eigentliche und innerste Porträt der Künstlerin Margret Bilger.

normalen, geordneten, nüchternen Überlegung wahrscheinlich eher unheimlich als gemäß sein können.

Für Margret Bilger bestand das Leben aus Farbe, Form und Gestalt. Alle Überlegungen ihres Lebens waren formale Überlegungen; Gedanken und Beobachtungen übersetzte die Künstlerin ins Bildhafte und selbst die seelischen Auseinandersetzungen vollzogen sich auf einer Basis der Gestaltung.

Daher zeigt sich in allen Werken der Bilger der Ausdruck einer übervollen Erlebniskraft, übertragen in das Gleichnis der Bilder. Entsprechend der jeweiligen geistigen und seelischen Situation erscheinen diese Gleichnisse dann entweder in der Magie der Holzschnitte oder in der Gestalt der überaus aufrichtigen Ölbilder, deren Wirkung manchmal so heftig ist, daß sie unvergeßlich bleiben. Anders wieder t— und ganz der Vielschichtigkeit Margret Bilgers entfließend — wirken die Aquarelle und kleinen Zeichnungen; sie sind freundlich und dennoch zurückhaltend, sie geben in einem alles und nichts preis und bleiben trotz ihrer Eindeutigkeit so unergründlich wie die Künstlerin selbst.

Es gab eine Zeit, da Margret Bilger fast nur Holzschnitte schuf. S?e waren ihr damals, was sie uns heute noch sind: Zeugnisse innerster Über

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