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Mit zwei Zungen

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Heinz Fischer und Sepp Rieder haben nun ungewollt nachgewiesen, daß die Formulierung vom „werdenden Kind“ im neuen Jugendwohlfahrtsge-setz verwaschen ist.

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Heinz Fischer und Sepp Rieder haben nun ungewollt nachgewiesen, daß die Formulierung vom „werdenden Kind“ im neuen Jugendwohlfahrtsge-setz verwaschen ist.

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Hätte es eines Beweises bedurft, daß die Formulierung vom „werdenden Kind“ im Zielparagraphen für ein neues Jugendwohlfahrtsgesetz (FURCHE 44/1987) verwaschen und beliebig interpretierbar ist, liegt er jetzt auf dem Tisch. Und das Argument, daß Kritik an dieser Wendung nur „kleinkarierte Wortklauberei“ (FURCHE 30/1987) sei, ist überholt: SPÖ-Klubobmann Heinz Fischer und SPÖ-JustizSprecher Sepp Rieder haben jetzt die Unverzichtbarkeit einer unzweideutigen Formulierung ungewollt bestätigt.

„Kein Zweifel“, teilte Heinz Fischer etwa besorgten Brief Schreibern in seiner Antwort (siehe Faksimile) mit, bestehe, „daß der Begriff des .werdenden Kindes' .... den gesamten Zeitraum von der Empfängnis bis zur Geburt umfaßt“.

Und auch die Zweifel der katholischen Bischöfe versucht er in diesem Sinne zu zerstreuen. Die Tatsache, daß ab dem Zeitpunkt der Schwangerschaft auch von einem werdenden Kind gesprochen werden kann, ließ er den Vorsitzenden der österreichischen Bischofskonferenz, Salzburgs Erz-bischof Karl Berg, wissen, werde in der Regierungsvorlage als „Folge der mit der Empfängnis eintretenden biologischen Entwicklung“ bezeichnet. „Ich denke“, so der SPÖ-Klubobmann dann wörtlich, „daß daher alle Besorgnisse unter dem Gesichtspunkt eines lückenhaften Rechtsschutzes unbegründet sind.“

Denkste! Denn kaum hatte Erz-bischof Berg den Fischer-Brief in Händen, deponierte SPÖ-Justiz-sprecher Sepp Rieder den Standpunkt, „menschliches Leben bereits ab Empfängnis als Kind anzusehen, sei eine undifferenzierte Betrachtungsweise“ („Sozialistische Korrespondenz“ vom 18. November 1987).

Womit auch klar sein dürfte, warum sogar noch die Wendung von „der werdenden Mutter mit dem werdenden Kind ab seiner Empfängnis“ aus den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage für das neue Jugendwohlfahrtsgesetz herausgestrichen wurde, auch wenn sich Heinz Fischer dieser Interpretation nach wie vor bedient.

Rieders Betrachtungsweise findet hingegen in der lapidaren Feststellung, daß „mit der Empfängnis“ eine biologische Entwicklung eintritt, wie nunmehr „erläutert“ wird, volle Deckung: Weil damit eben nicht „menschliches Leben bereits ab Empfängnis als Kind anzusehen“ ist.

Vielleicht machen diese gravierenden SPÖ-internen Meinungsdifferenzen den Koalitionspartner hellhörig und bewirken, daß in den parlamentarischen Beratungen eine fragwürdige durch eine eindeutige Formulierung ersetzt wird. Warum nicht so eindeutig wie in Briefen?

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