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Kind ab der Empfängnis

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Beim Jugendwohlfahrtsgesetz ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. Im Wort ist Marilies Flemming nun aber der Öffentlichkeit bei Leihmüttern und bei der Steuerreform.'

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Beim Jugendwohlfahrtsgesetz ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. Im Wort ist Marilies Flemming nun aber der Öffentlichkeit bei Leihmüttern und bei der Steuerreform.'

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FURCHE: Sind Sie nach den unterschiedlichen Interpretationen durch SPÖ-Klubobmann Heinz Fischer und SPÖ-Justizsprecher Sepp Rieder (FURCHE 48/1987) noch immer der Meinung, daß die Formulierung vom „werdenden Kind“ in der Vorlage für das Jugendwohlfahrtsgesetz ein unmißverständlicher und klarer Begriff ist?

MARILIES FLEMMING: Die verschiedenen Auffassungen der beiden Herren haben aufgezeigt, daß hier bei den Sozialisten vieles noch nicht ausdiskutiert ist. Ich glaube, daß die Diskussion, die um diesen Begriff stattgefunden hat, klärend und aufklärend war. Klärend deshalb, weil sich gezeigt hat, daß die Diskussion innerhalb der Sozialistischen Partei noch weitergeht. Und aufklärend, weil wir doch auch wieder im Bewußtsein der Öffentlichkeit einen Schritt weitergekommen sind.

FURCHE: In welcher Beziehung?

FLEMMING: Da muß man auf die Einführung der Fristenregelung zurückgehen. Damit ist die große Diskussion ausgebrochen: Ab wann ist ein Mensch ein Mensch? Von dieser Diskussion sind wir nie weggekommen. Und das ist auch gut so. Es hat sich damals gezeigt, daß die Unwissenheit über die Frage, wann das menschliche Leben beginnt, erschreckend groß war, daß es notwendig war, aufzuklären, Wissen zu vermitteln. Es geht hier auch um Glaubensfragen, aber doch ebenso um Wissensfragen. Es geht hier um die medizinisch-wissenschaftlich eindeutig feststellbare Antwort, daß der Mensch mit der Empfängnis beginnt. Das steht für mich außer Streit.

FURCHE: So unmißverständlich steht das nicht in der Vorlage.

FLEMMING: Ich darf vieUeicht auch sagen, warum der Begriff des werdenden Lebens überhaupt in diese Gesetzesvorlage gekommen ist: Die Kirche hat all die Jahre immer wieder den Schutz des werdenden menschlichen Lebens gefordert, von der Kanzel, in Schriften und Broschüren. Immer wieder. Bei der Diskussion um die Fristenregelung gab es andererseits sogar einige sozialistische Frauen, die erklärt haben, der Mensch beginne erst mit der Geburt. Erst das geborene Leben war für sie ein Kind; und alles, was ungeboren war, war für sie kein Kind.

Man muß aber auch sehen, daß sowohl der Paragraph 22 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches als auch die zur Zeit noch im Jugendwohlfahrtsgesetz vorhandene Formulierung, daß das Kind von der Empfängnis an zu betreuen sei, nicht verhindern konnten, daß die Fristenregelung Gesetz wurde.

In der Zwischenzeit hat sich vieles an Bewußtseinsänderung getan. Die Sozialisten — und das ist für mich fast ein kleines Weihnachtswunder — akzeptieren ja heute, daß das Kind ab Beginn der Schwangerschaft betreut werden soll. Die Schwierigkeiten, so habe ich das aus Gesprächen mit Sepp Rieder begriffen, bestehen für ihn eigentlich nur in dieser kurzen Zeit von der Empfängnis bis zum Eintritt der Schwangerschaft. Für ihn steht das Menschsein ab der Empfängnis noch in Frage. Das ist das eine. Auf der anderen Seite aber ist auch nicht unrichtig, daß natürlich eine Betreuung für Mutter und Kind erst mit Beginn der Schwangerschaft möglich ist.

Uber den kurzen Zeitraum von der Empfängnis bis zum Beginn der Schwangerschaft werden wir noch intensiv diskutieren müssen, denn da ist in den letzten Jahren auch Ungeheures aufgebrochen. Da ist eine Fülle von erschreckenden Problemen dazugekommen: Gen-Manipulation, Gen-Technologie. Oder jetzt in den Vereinigten Staaten der Fall eines schwer gehirngeschädigten Kindes, das nicht lebensfähig gewesen wäre, das aber künstlich am Leben gehalten wurde — ich betone: ein Kind -, um sozusagen als Organspender zerteilt zu werden. Das sind grauenvolle Dinge. Das erfordert eine Diskussion, die länger dauern wird müssen, die auch ununterbrochen eskaliert, weil ununterbrochen neue Tatsachen bekannt werden. Solche Fragen wollen wir am 28. und 29. Jänner 1988 in einer Enquete behandeln.

FURCHE: Was passiert mit dem Jugendwohlfahrtsgesetz weiter?

FLEMMING: Die Sozialisten sind heute bereit, mit Beginn der Schwangerschaft die Betreuung für das Kind zu akzeptieren. Wenn es möglich wäre, das im Jugendwohlfahrtsgesetz eindeutig festzulegen, hätte die Diskussion um den Begriff „werdendes Kind“ eigentlich einen sehr, sehr positiven Erfolg gehabt.

FURCHE: Und wenn der Koalitionspartner nicht bereit ist, auf eine Präzisierung der Formulierung einzusteigen?

FLEMMING: In der Diskussion stand für mich lange außer Zweifel, daß auch für die Sozialisten das Kind ab der Empfängnis ein Kind ist. Nun ist, da gebe ich Ihnen recht, aufgebrochen, daß das bei den Sozialisten nicht so unumstritten ist. Jetzt sollte man doch im parlamentarischen Ausschuß nach einer Formulierung suchen, die jeden Zweifel ausschließt. Sollte der Koalitionspartner nicht imstande sein, eine Formulierung zu finden, daß auch für ihn der Mensch ab der Empfängnis beginnt, dann wird man sich das weiter überlegen müssen.

FURCHE: Was sagen Sie denn zum ersten Entwurf des Justizministeriums, der die Leihmutterschaft erlauben will?

FLEMMING: Ich kann das nur als Diskussionsunterlage werten, denn die Leihmutterschaft kommt für mich nicht in Frage. Sie ist abzulehnen, ist zu verbieten. Wenn eine Frau glaubt, ihr Kind nicht behalten zu können, gibt es die Möglichkeit der Adoption. Aber den Begriff der Leihmutterschaft auch noch gesetzlich zu verankern, kommt für mich nicht in Frage.

FURCHE: Stehen Sie dafür, daß dieser Entwurf so nicht Regierungsvorlage werden wird?

FLEMMING: Mit meiner Zustimmung sicher nicht.

FURCHE: Ein anderes Thema ist die Steuerreform. Haben Sie für die Familie Wünsche?

FLEMMING: Ja, ganz konkrete Wünsche, die bereits bei der Diskussion über die Novelle zum Fa-milienlastenausgleichsfondsge-setz angemeldet wurden. Eine Novelle übrigens, über die niemand glücklich ist. Wir betrachten sie als einen ganz großen Beitrag der Familien zur Budgetsanierung, aber das ist ein ein- und letztmaliger. Ich habe dem nur deshalb zugestimmt, weil vom Finanzminister zugesagt wurde, daß im Zuge der Steuerreform das geschieht, wozu sich diese Bundesregierung bekennt: die soziale Staffelung der Familienbeihilfe.

Was heißt soziale Staffelung? Daß man jenen Familien, die es besonders dringend brauchen, verstärkt hilft. Das sind sicher die Alleinerzieher, aber es sind vor allem auch die Mehr-Kinder-Familien. Eine Zeitlang war das ein ideologisches Problem, da gab es Bemerkungen wie: das sind ja nur die Bauern, oder das sind eben jene Frauen, die „zu dumm“ waren, um abtreiben zu lassen. Esistaber statistisch festgestellt, daß über 40 Prozent aller Mehr-Kinder-Fa-milien Arbeiterfamilien sind; und von diesen sind in jenen Familien, wo nur ein Elternteil verdient, 60 Prozent unter der Armutsgrenze. Selbst dort, wo in Arbeiterhaushalten mit drei und mehr Kindern beide Elternteüe verdienen, sind noch immer 15 Prozent unter der Armutsgrenze. Diese Zahlen sprechen für sich. Man muß diesen Mehr-Kinder-Familien helfen: durch die Anhebung des Kin-derabsetzbetrages, und zwar durch eine spürbare Anhebung. Dort, wo das Steueraufkommen so gering wäre, daß man es gar nicht ausschöpfen könnte, weil eben mehrere Kinder da sind, wird es sich in Form einer Negativsteuer zu Buche schlagen, also es kommt zu einer Barauszahlung des Geldes, es kommt zu einer Erhöhung der Familienbeihilfe.

FURCHE: Sind das noch Wünsche oder bereits konkrete Uber-legungen?

FLEMMING: Das sind ganz konkrete Überlegungen. Und die Steuerreform wird sicher nicht über die Bühne gehen, wenn die so versprochene Anhebung des Kin-derabsetzbetrages nicht tatsächlich stattfindet.

FURCHE: Wäre das eine Koalitionsfrage?

FLEMMING: Das ist sicher eine Koalitionsfrage.

Mit Marilies Flemming, der Bundesministerin für Umwelt, Jugend und Familie, sprach Hannes Schopf.

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