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Untier Mensch

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Die Apokalypse steht ins Haus. Wir Untiere wissen es längst, und wir wissen es alle. Hinter dem Parteiengezänk, den Auf- und Abrüstungsdebatten, den Militärparaden und Anti-Kriegsmärschen ... gibt es eine heimliche Ubereinkunft, ein unausgesprochenes großes Einverständnis: daß wir ein Ende machen müssen mit uns und unseres-gleichen, so bald und so gründlich wie möglich — ohne Pardon, ohne Skrupel und ohne Uberlebende."

So beginnt ein merkwürdiges Buch, dessen Titel „Das Untier. Konturen einer Philosophie der Menschenflucht" Überlegungen anstellt, die uns allen nicht fremd sind: wer von uns würde nicht in manchen Stunden den Satz Schopenhauers unterstreichen „daß wir besser nicht da wären", wer von uns nicht Ciorans Aphorismen „Vom Nachteil, geboren zu werden" mit bitterem Einverständnis lesen oder der griechischen Weisheit erliegen „Das Beste für den Menschen wäre, nicht geboren zu werden"? Freilich kann man darauf mit Tucholskys Frage fortsetzen: „Aber wem passiert das schon?"

Ulrich Horstmann, Professor für Philosophie an einer deutschen Universität, läßt in diesen Überlegungen, die als Ironie und Satire oder bitteren Ernst zu nehmen dem Leser offensteht, keine Wahl: er ruft zum Boykott des Euphemismus Mensch auf, um eine jahrtausendealte anthropozentrische Philosophie, die sich als humanistisch verbrämt hat, durch eine „anthropofugale", eine solche der Menschenflucht, zu ersetzen.

Vom Beginn des Gattungsnarzißmus in der Antike über die christliche Sündenfall-Lehre, in der das Untier zu einer Fehlform in uns selbst integriert wird, bis zur Aufklärung und schließlich zum Humanitätsideal des deutschen Idealismus zeichnet Horstmann eine Geschichte des Scheiterns und der Vergeblichkeit aller humanistischen Bemühungen.

Von einigen Denkern wie Schopenhauer, Eduard von Hartmann oder Ludwig Klage nur selten unterbrochen, verschließt sich die Philosophie vor der Tatsache, daß der Mensch ein Entarteter der Schöpfung ist, eine evolutive Fehlform, die sich selbst ad absurdum führen muß. Denn selbst heute, angesichts einer für uns alle einsichtigen, durch keine humanitären Überlegungen aufzuhaltenden Apokalypse, beugt sich die Philosophie in „kindlicher Konzentration über die Baukästen der Wissenschaftstheorie, Hermeneutik, Ideologie- und Ökologiekritik".

Nichts bleibt von der Anklage Horstmanns verschont: Marxismus und Existentialismus erscheinen ebenso als letzte Metastasen eines verrotteten humanistischen Denkens wie Friedensund Konfliktforschung, die nach Horstmann nur dort sinnvoll sei, wo sie dem Kriege diene, vornehmlich durch das Erarbeiten von Szenarien und Simulationsmodellen. Es sind ketzerische und blasphemische Thesen, die jedoch recht besehen nur unsere Realität konsequent zu Ende denken.

Ist Horstmann eine Kassandra, die sich des psychologischen Tricks bedient, das Grauen als unabwendbar, aber auch als wünschenswert darzustellen, um gerade dadurch zu provozieren? Uberschlägt sich so seine Ironie in einem salto mortale zum bitteren, verzweifelten Ernst? Kann ein zutiefst bekümmerter Humanismus nur mehr als Antihumanismus auftreten, ohne sich selbst zu verraten?

Ob er es will oder nicht: Horstmann stellt das „Untier" vor die Entscheidung, sich dem „sanften Transport in die Vernichtung zu überlassen, die aller Not ein Ende bereitet" oder neuerlich und verschärft Wege zu ersinnen, dieser „physischen Vernichtung und dem Auslöschen der Erinnerung an sich selbst" zu entgehen.

Der Autor ist Professor für Philosophie an der Universität Wien.

DAS UNTIER. Konturen einer Philosophie der Menschenflucht. Von Ulrich Horstmann. Medusa-Verlag, Wien-Berlin 1983.113 Seiten, öS 150,-.

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