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Wirklich „unmöglich“?

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Graham Greene, der schwierige Konvertit, hat einst eine Dichtung hohen Ranges geschaffen, „Die Kraft und die Herrlichkeit“, dieses Prosaepos vom verkommenen südamerikanischen „Schnapspriester“, der sich für den letzten aller Menschen hält und eben deswegen, inmitten von Terror und Verfolgung, zum. Helden und Heiligen wird. Im Schatten dieses Meisterwerks standen dann noch „Das Herz aller Dinge“, „Der Ausgangspunkt“, vielleicht auch „Brighton Rock“. Von nun an gings bergab. Greene schwamm ein wenig auf der Krimi-Welle, auf der Sex-Welle und auf der neo-marxistischen.

Jetzt hat er die Memoiren einer Wienerin herausgegeben, der Dotto-ressa Moor, die auf Capri lebte und dort gewiß, viel Gutes tat. Greene ließ die alte Dame — sie wurde neunzig Jahre als — auf Tonband sprechen was ihr halt so durch den Kopf schoß, und 'weil dieDottoressa einen recht ungeordneten Lebenswandel geführt hatte und neben Originellem auch Unanständiges von sich gab, hielt er sie für eine interessante, weil „unmögliche“ Frau. Dieses als lobend zu verstehende Adjektiv mag im vorliegenden Falle für den heutigen angelsächsischen Raum zutreffen, wo bei den Puritanern von einst Hemmungslosigkeit und oberflächliche Ansichten, sofern ins Klischee passend, als schick empfunden werden. In Wien sind derlei Typen (schlag nach bei Schnitzler) seit eh und je nicht gerade selten und man nimmt sie weder im Guten noch im Bösen besonders ernst Gar so „unmöglich“ sind sie ja gar nicht. In der Endphase ihres konfusen Daseins werden sie entweder, zum Schrecken der zuständigen Bischöfe, auf eine überaus radikale und öffentlich-betriebsame Weise fromm, oder sie geraten unter Sprechzwang wie besagte Dottoressa und geben, zwecks Selbstbestätigung, die erlebten Komplikationen erzählend wieder, wobei zwar die Zeiten durcheinandergeraten, politische Persönlichkeiten und Ereignisse falsch eingeschätzt werden, die Straßennamen, aus Kindheitstagen wieder emportauchend, aber durchwegs stimmen.

War sie eine „ungestüm Lebende“, die Dottoressa? Doch eher ein ins Internationale verwehtes „süßes Mädel“ mit Intelligenz und Selbstbehauptungswillen. War sie eine „unersättlich Liebende“? Es kommt drauf an, was man unter Liebe versteht. Liebe ist anderswo, als Unersättliche sie suchen.

EINE UNMÖGLICHE FRAU. Erinnerungen, herausgegeben von Graham Greene. Aus dem Englischen übertragen von Maria Felsenreich und Hans W. Polak. Paul-Zsolnay-Verlag. Wien—Hamburg, 1975. 236 Seiten, S 180,—.

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