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Von und über Graham Greene

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Das Schlachtfeld des Lebens. Roman. Von Graham Greene. 339 Seiten. — Mein Freund Graham Greene. Von Ronald Ma tthews. 349 Seiten. Beide Paul-Zsolnay-Verlag.Hamburg-Wien

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Das Schlachtfeld des Lebens. Roman. Von Graham Greene. 339 Seiten. — Mein Freund Graham Greene. Von Ronald Ma tthews. 349 Seiten. Beide Paul-Zsolnay-Verlag.Hamburg-Wien

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Das „Schlachtfeld des Lebens“, auf das Graham Greene den Scheinwerfer lenkt, ist wie in so vielen seiner frühen Romane das England der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre: Depression, Kommunisten und Lebensgier. Wer weiß, wie lange man noch Zeit hat? Ein zeitloser Londoner Nebel liegt über der ganzen Walstatt, umhüllt die Akteure, ja saugt sich in sie hinein durch alle Poren. Beinahe scheint Francoise Sagans Morgengruß verweggenommen: Bonjour, Tristesse!

Jim Drover, Autobuschauffeur und Kommunist, hat bei einer Demonstration einen Polizisten erstochen. In der Armensünderzelle wartet er, ob das Todesurteil in letzter Minute durch eine Begnadigung umgewandelt wird. Von diesem vierschrötigen und geistig nicht gerade wendigen Mann führen unsichtbare Schicksalsfäden zu seiner Frau Milly, zu seinem neurotischen Bruder Conrad, zu seiner Schwägerin Kay, einem lebensgierigen Fabriksmädel. Aber auch der Salonkommunist Mister Surrogat — nomen est omen — und ein Kriminalrat, jeder Zoll ein Vertreter Old Englands und, nebenbei bemerkt, die beste Charakterstudie des vorliegenden Buches, stehen mit Drover in einer seelischen „Funkverbindung“. Der Rest ist Psychologie und Sexus.

Ein Roman Graham Greenes, der keineswegs in die Spitzengruppe, wo „Die Macht und die Herrlichkeit“, „Das Herz aller Dinge“ und auch „Der stille Amerikaner“ stehen, gehört. Zur Vervollständigung der deutschen Gesamtausgabe der Werke des bekannten englischen Schriftstellers im Paul-Zsolnay-Verlag ist sein Erscheinen dennoch begrüßenswert. *

Noch begrüßenswerter erscheint uns jedoch diesmal nicht ein Buch von Graham Greene, sondern eines über ihn. Der englische Journalist Ronald Matthews hat es geschrieben. 1936 traf er Graham Greene, der damals gerade seine feste Anstellung bei der „Times“ aufgegeben hatte und neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit als Buchrezensent und Filmkritiker für den „Spectator“ tätig war. „Greene war damals der Durchbruch durch die Schallmauer, die den Autor mit einem gewissen Namen vom Ve-fasser von Bestsellern trennt, noch nicht gelungen.“ Die beiden Kollegen kommen ins Gespräch und man versichert einander gegenseitig: ii Wir dürfen den Kontakt miteinander wirklich nicht verlieren!“ Zum Unterschied von Dutzenden solcher konventionellen Cocktailphrasen bleiben Greene und Matthews tatsächlich in kollegialer Verbindung. Bald entwickelt sich sogar Freundschaft daraus. In guten und weniger guten Tagen treten die beiden an Samstagabenden „Bierreisen“ in die verschiedensten Londoner Bezirke — und nicht die vornehmsten — an. Menschen werden dabei studiert und Gespräche über die beiderseitigen Arbeitsvorhaben geführt. Bald schlüpft Matthew in die Rolle des Eckermann, der Greene nach den Vorlagen und der Entstehungsgeschichte seiner Bücher ausfragt. Bereitwillig wird ihm Auskunft gegeben. Die schon erwähnte „Schallmauer“ wird nämlich 1940 mit dem Erscheinen von „Die Kraft und die Herrlichkeit“ durchbrochen. Greene bezeichnete sich selbst einmal sozusagen als eine Art von „Kriegsgewinner“. Durch die Papierknappheit wurden die Leute auf die Neuerscheinungen erst richtig aufmerksam. „Sie begannen vor den Buchhandlungen Schlange zu stehen ...“ Auch sprach das Motiv des Gejagten, das bei Greene so oft wiederkehrt, vor allem die Menschen des Kontinents, die ähnliches oft am eigenen Leib erlebt hatten, in den ersten Nachkriegsjahren besonders an.

Der Freund und Kenner der Werke Graham Greenes erfährt aus den vorliegenden Aufzeichnungen wertvolle Hinweise auf die geistige Entwicklung des bekannten Autors, er erhält darüber hinaus Einblick in seine literarische Werkstatt. Er wird mit den Modellen vertraut, aus denen später die heute in aller Welt bekannten Figuren entstanden: der Schnapspriester, Scobie, Pyle und alle anderen Gestalten der Romane Graham Greenes.

Ein Buch, das jedem, der an Greenes literarischem Schaffen Interesse gefunden hat, zu empfehlen ist.

Unverständlich: Warum hat sich der Verlag noch kein neues, besseres Bild Greenes besorgt, sondern „ziert“ alle Bücher (dieses sogar in Großformat mit dem „Frankenstein-Klischee“) mit einer frühen und sehr schlechten Aufnahme des englischen Schriftstellers?

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