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Spielarten des Glaubens und Unglaubens

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EIN AUSGEBRANNTER FALL. Roman. Von Graham Greene. PauI-ZoInay-Ver-lag, Hamburg-Wien. 1961. 326 Seiten. Preis 89 S.

Greenes neuer Roman gehört gewiß nicht zu jenen seiner Bücher, die er selbst einmal als „entertainments“ (man übersetzt das am besten mit „Schmöker“) bezeichnet hat und in denen er sich geradezu raffiniert auf einer Ebene zwischen Moritat und Mysterium bewegt. Aber auch da, wo er, wie in diesem Buch, ein äußerst tragisches Problem aufnimmt und tief in metaphysische Bezirke vorstößt, baut er spannende Detail, ja unverhüllte Kolportageelemente in die Handlung ein — sicher mit ein Grund für seinen Erfolg in breiten und so verschiedenartig interessierten Leserschichten. Auch seine immer präzis, ja routiniert gehandhabte Erzähl-technüc, der straffe, spannende Handlungsablauf, gewürzt durch die dramatische Führung der Dialoge und einzelne raffinierte Feinheiten der Darstellung, sind faszinierend. Mehr als alles andere aber trägt zu Greenes Erfolg bei, daß seine Gestalten so ganz und gar Menschen unserer Zeit sind, in denen der Leser sein •Ebenbild erkennt, seine eigenen Konflikte und Probleme wiederfindet.

Über das vorliegende Buch hat Greene gesagt, es sei ein Versuch, den „verschiedenen Spielarten des Glaubens, Halbglaubens und Unglaubens lebendigen Ausdruck zu geben“. Ein Versuch, der ihm ebenso glänzend wie bewegend gelungen ist.

Im Mittelpunkt der Geschehnisse steht der berühmte Kirchenarohitekt Querry, ein seiner selbst und seiner Erfolge überdrüssiger Mann, der erkannt hat, daß er nicht mehr fühlen, leiden und lieben kann, also ein lebendiger Leichnam ist. Querry hat, an diesem Punkt völliger Hoffnungslosigkeit angelangt, nur noch den einen Wunsch, die Welt zu vergessen, sich irgendwohin zurückzuziehen, wo er ruhig sterben kann. Es scheint ein Zufall zu sein, daß ihn ein Flugzeug — er nimmt das erste, beste — nach Afrika bringt und daß die letzte Station des Schiffes, das er dort besteigt, eine Aussätzigenkolonie im Innern des Kongo ist. „Das Schiff führ nicht weiter“ — also bleibt Querry dort. Hier nun. In der Begegnung mit dem „Atheisten“ Dr. Collins, der sich ebenso illusionslos und verbissen wie selbstverständlich für seine Patienten einsetzt, zusammen mit einigen Patres, die auf ihre Weise, sehr, wirklichkeitsnah, das gleiche tun, beginnt Querry allmählich zu helfen, dringende kleine Augenblicksaufgaben zu übernehmen. Und diese Anteilnahme macht ihn wieder zum Menschen, erweckt einen leisen Hoffnungsschimmer in seinem ausgebrannten Herzen. Bis das Unverständnis und die Sensationsgier einiger Leute diese winzigen Ansätze eines echten neuen Lebens zuschanden machen.

Da ist der Belgier Rycker, ein von verlogener Frömmelei triefender Katholik, von Skrupeln gequält und ohne jede Liebe, der den „großen Querry“ zu einem Heiligen stempeln möchte. Noch schlimmer ein englischer Reporter de' Boulevardpresse, der Skandale aus Quer s Vergangenheit ausschlachtet, um sein neues Leben desto wirksamer als Büß- und Reueakt motivieren zu können. Das tragische Ende beschwört schließlich Rvckers schwangere

Frau herauf durch ihre Behauptung, Querry sei der Vater ihres Kindes. Diese Marie, die zunächst wie ein armes, harmloses und unglückliches Kind wirkt, erweist sich als genau so egoistisch und kompromißlos wie der Querry der Vergangenheit, dem Menschen immer nur ein Objekt zur Verwirklichung seiner selbstsüchtigen Wünsche und Ziele waren. Mrs. Rycker bleibt bei ihrer unwahren Behauptung, weil sie in ihr die einzige Möglichkeit sieht, ihrer Ehe und Afrika zu entfliehen. Das Ende ist, daß der von seinem Idol Querry enttäuschte Rycker den Architekten erschießt.

Das alles klingt wie eine aufregende Boulevardkomödie mit tragischem Ausgang. Was aber versteht Greene aus solch einem Stoff zu machen! Seine beißende und doch so schmerzliche Ironie, seine Resignation gegenüber den Unzulänglichkeiten der Menschen und den Rätseln des Diesseits, seine manchmal maßlosen Ausfälle dienen im Grunde nur dazu, den Blick hinter die Kulissen freizumachen. Der Mensch, dieses umhergetriebene Wesen, steht letztlich doch für Greene in einer festgefügten metaphysischen Ordnung, die zwar auch undurchsichtig und rätselhaft ist, aber: „das Muster ist da...“. Wo der Autor an diesen Punkt kommt — und er kommt in allen seinen Büchern, oft auf halsbrecherischen Umwegen, an ihn —, wird er ganz ernst und unbedingt. Für ihn ist auch die Hölle, in die alle seine Gestalten geraten, der Liebe und Gnade Gottes unterworfen.

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