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Gespräch mit Graham Oreene

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Graham Greene hat lange gezögert, Einzelheiten über seine Bekehrung als das große Ereignis, das über sein Leben und seine Laufbahn als Schriftsteller entschied, zu erzählen. Er ist nicht der Mann, der gerne vertrauliche Mitteilungen macht: er hat weder für den Scheinwerfer der Reklame noch für den Ruhm des Erfolges etwas übrig. Die Journalisten, „die Meute“, wie er sie nennt, sind seine bestgehaßten Feinde, und er weiß ihnen geschickt zu entkommen.

Sein Uebertritt zur katholischen Kirche war — wenigstens erlebnismäßig — eher ein Zugeständnis, wenn nicht eine bloße Formalität. Er hatte ein katholisches Mädchen, Vivian Dayrell-Browning, kennengelernt, und da dieses wünschte, er solle vor der Heirat erst katholisch werden, wurde er eben katholisch. Er selbst mißt diesem Schritt nur geringe Bedeutung bei: „Ich mußte viele Jahre warten, bis ich ein wahrer Katholik wurde. Ich gestehe, daß mich die religiösen Probleme durchaus nicht interessierten.“

„Sehen Sie“, sucht er diese Gleichgültigkeit irgendwie zu erklären, „in England sind wir nicht in eine religiöse Atmosphäre getaucht: Das Christentum ist ein wenig wie ein ausländischer Reisender auf unsere Insel gekommen, und wir müssen erst, nach dem Beispiel des heiligen Thomas, das Mal der Nägel sehen und die Finger in die Wunden legen, bevor wir es begreifen und leben können.“

Im Jahre 1938 ging er nun im Auftrag einer Londoner Zeitung nach Mexiko, um eine Artikelserie über die dortige religiöse Lage zu schreiben. Durch zwölf Jahre war dieses unglückliche Volk von einer schweren Kirchenverfolgung heimgesucht worden. Fast vier Monate lang durchstreifte Greene das Land und stieß bis in die entlegensten Gegenden vor. „Die Situation da drunten“, berichtet er später, „war entsetzlich, wirklich so, wie ich es in meinen Artikeln und in meinen Büchern beschrieben habe: ich habe durchaus nicht übertrieben. In einigen Gegenden des Südens war kein einziger Priester mehr übriggeblieben und keine einzige Kirche stand mehr.“

Sein preisgekrönter Roman „Die Kraft und die Herrlichkeit“ (1940), legt davon Zeugnis ab. „Dieu est mort“ — „Gott ist tot“ nannten die Franzosen den Film, der nach diesem Buch gedreht wurde. Denn Gott schien in Mexiko wirklich tot zu sein. Aber Greene erkannte bald, daß es nicht so war: er entdeckte den heldenhaften Glauben der verfolgten Katholiken. Er erfuhr all das, was er in seinen Berichten erzählt: die schier unglaublichen Episoden des tragischen unterirdischen Kampfes, die unvorstellbarsten Verstecke, in denen man die Beichte flüsterte, die unter tausend Gefahren heimlich in Privathäusern gefeierten Messen.

Und am stärksten packte ihn der Justizmord an dem Jesuitenpater Miguel Pro. Die Gestalt dieses großartigen Priesters, den Calles unter der Beschuldigung eines Attentates, in das er in keiner Weise verwickelt war, erschießen ließ, einfach um seinem seelsorglichen Wirken ein Ende zu machen und den in der Ueberzeugung des Volkes sofort der Ruhmesglanz des Märtyrers umgab, grub in Greenes religiöse Gleichgültigkeit eine tiefe Furche des Staunens und der Bewunderung. Das wunderbare Schauspiel der Gläubigkeit des mexikanischen Volkes, die den Tod nicht fürchtete, und die vielen Einzelschicksale und Einzelszenen, die so sehr an die Zeit der Katakomben erinnerten, wurden für ihn das „Mal der Nägel“ und die „Wunde“, in die hinein er seine Hand legte: „Ein Glaube, der zu solchem Zeugen-tum fähig macht, mußte ernst genommen werden. Immer unwiderstehlicher wurde für mich der Reiz dieses Lebens der unterirdischen Kirche und allmählich erwachte in mir das Verlangen, meine Kenntnis des Dogmas zu vertiefen, und das Bedürfnis, mein Leben zu ändern..

Seither verfolgte ihn das große Thema von der Sieghaftigkeit der göttlichen Gnade, die sich durch alle Sünden und Verkrustungen, durch alle Dämonie und Verfallenheit, durch alle Unbewußtheit und Gleichgültigkeit durchzuringen weiß. Das Grauen einer rücksichtslosen und gewalttätigen Welt, die Gemeinheit der Sünde, die keine Scham mehr kennt, die zermürbende Alltäglichkeit, die glauben machen will, unter ihrer öden Decke seien die tiefen Wasser der Seele versiegt: all dies schwächt er nicht ab oder drängt es zurück, sondern er läßt es heran, hochmütig und frech, wie es ist, denn er vertraut, daß die Gnade Gottes immer noch stärker ist und es besiegt.

Und spricht Graham Greene — über alle berechtigten und unberechtigten Einwände hinweg — nicht das innere Gefühl und die innere Ueberzeugung vieler wacher und brennender Christen aus, wenn er die französischen Arbeiterpriester bewundert und dazu bemerkt: „Es wäre notwendig, daß alle Priester so täten: darin offenbart sich die Lebenskraft der Kirche ... Wenn ich dagegen in gewissen bürgerlichen Pfarren von Paris der Messe beiwohne, dann habe ich, das muß ich gestehen, den sonderbaren Eindruck, bei einer großen Tafel anwesend zu sein. Da ist kein Platz mehr für die Liebe...“

Deutsch von Dr. Georg J. Strangfeld SJ.

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