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Graham Greene wieder in Wien

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Graham Greene, der Verfasser weltbekannter Romane und einer der wenigen lebenden Autoren von weltweiter Wirkung, die es verstanden haben, religiöse Themen einem Publikum von Weltkindern schmackhaft zu machen, weilte unseres Wissens das letztemal in Wien im Zusammenhang mit der Verfilmung des „Dritten Mannes". Nun hat er sich in der Josefstadt dem Publikum gestellt, zweifach, in seiner Person und mit seinem Werk, mit dem Stück „Das Geheimnis“. Die Josefstadt reist mit dieser deutschsprachigen Erstaufführung des englischen Dramas „The Potting Shed“ zu den Berliner Festspielen.

Zwei Motive überschneiden sich in diesem Stück. Da ist zunächst die im Ton wohlwollend freundliche, im Inhalt schonungslos offene Satire auf eine nunmehr abtretende Generation englischer Autoren, Schriftsteller, Wissenschaftler und Literatėj, die alle aus der Schule des „wissenschaftlichen“ Atheismus Darwins herkamen und von denen einzelne „große alte Männer", wie H. G. Wells, Bertrand Russell, in die Gegenwart hereinragen. Als riesige Schatten. Der Schatten des am Anfang des Stückes sterbenden H. C. Callifer ist der Schatten dieser „großen Alten“, der sich sehr konkret heute noch über das Denken und Leben zumal vieler Gebildeter und Intellektueller in der angelsächsischen Welt legt. Graham Greene reitet gegen diesen in C. H. Callifer personifizierten szientifischen Atheismus die schärfste Attacke, die es gibt: er bestreitet seinen prominentesten Vertretern nicht nur die Wissenschaftlichkeit, sondern auch das persönliche Ethos: den Glauben an ihren Unglauben. Diese Menschen haben, so ist es Greenes Ueberzeugung, etwas zu verbergen: eine intime innere Schwäche. H. C. Callifers Frau (hervorragend Helene Thimig in dieser großen Rolle) wird durch eben diese Schwäche des von ihr geliebten Mannes so fasziniert, daß sie ihm das Glück ihrer Kinder, ihre Familie opfert.

Damit treten wir in die zweite, innere Dimension dieses Stückes ein. Hier geht es ums Ganze. Um den Glauben an Gott, um den Glauben an den Menschen, um das große, starke Vertrauen in den guten Sinn auch des Scheiterns. Um die Liebe. — Hier berührt sich nun Graham Greene, dessen janseni- stisch-infizierte Geisteswelt Hugo von Hofmannsthal sonst so ferne steht, mit dem großen Oesterreicher: die Ehe, die Leistung und das Scheitern in der Begegnung zwischen Mann und Frau, der Erweis der Liebe bilden für beide den Prüfstein dafür, ob das Menschsein geglückt oder verfehlt ist. — James Callifer (durch Leopold Rudolf überzeugend gestaltet), Sohn des schrecklichen Alten, Journalist, in seiner Ehe gescheitert, hat nie rechte Fühlung mit seiner Frau gefunden, und. im letzten, mit niemandem, weil ihm in seiner Kindheit durch den Vater der Glaube ausgepeitscht wurde. Jener Glaube, den ihm

sein Onkel, ein Konvertit und katholischer Priester, eben erst eingeimpft hatte. Als der Leblose nach einem Selbstmordversuch im Arm dieses Onkels lag, da bot dieser in verzweifeltem, inbrünstigem Gebet Gott, als Gabe für eine Rettung des Kindes, seinen Glauben an. Der Priester hatte dann diese seine Worte in schrecklicher Wirrung vergessen. Gott aber hatte ihn beim Wort genommen und ihm den Glauben genommen. Für dreißig Jahre. Erst als James, auf der Suche nach seinem verlorenen Quellgrund, auf der Suche nach der Wahrheit seines verfehlten Lebens, mit seinem Onkel zusammentrifft, findet der Junge das Wort, das nunmehr beide wiedererweckt zu einem neuen Leben. Das Wort des Glaubens. Des Glaubens nicht einfach an ein „Wunder“. Greene läßt es offen, ob der kleine James damals wirklich tot war, oder nur einem Koma erlag, ob also im Sinne der Wissenschaft und der Theologie von einem „Wunder“ im Sinne eines „übernatürlichen“ Eingriffes Gottes zu handeln ist.

Greene geht es nicht um „Wunder" und nicht um Mirakel, sondern um eine andere Demonstration: Gott ist immer größer als der Mensch, als dessen Wollen, Begreifen, Verstehen. Geborgenheit, und damit Lebensglück, weil Erschließung der Liebeskraft, des Trauens und Vertrauens, findet der Mensch aber nur, wenn er sich diesem „schrecklichen", undurchschaubaren, unberechenbaren Gott anvertraut. Eben dieser entbindet im Menschen dessen menschlichste, beste Kräfte, weil er ihn zum Guten hin enthemmt. — Man kann über Greenes letzte theologische und glaubensmäßige Grundhaltungen streiten. — Greenes Glaube ist auf einem harten, steinigen, wind- und wetterzerzausten Boden gewachsen, es ist immer etwas von der Düsternis nebelverhangener Inseln und gischtüberbrauster Felsen am Meer um diesen Glauben. Ganz anders die auf ihre Weise nicht minder abgründige Heiterkeit eines mediterranen romanischen Katholizismus. Die Echtheit dieses Ansatzes und die Aktualität dieses Anliegens sind aber unbestreitbar: sie „treffen“, und das zeigt nicht zuletzt die Reaktion des Publikums, gleichzeitig zwei große Gruppen unserer Zeitgenossen: Menschen, die zu sicher in ihrem Glauben, und Menschen, die zu sicher in ihrem Unglauben sind. Beiden hat dieses Drama des Graham Greene etwas zu sagen. — Die Aufführung der Josefstadt, unter der Regie Lothar Müthels, ist sehr bestrebt, durch ein understatement, ein Unterspielen, die heiklen Nahtstellen des Stücks möglichst diskret zu bringen. — Neben Helene Thimig und Leopold Rudolf muß Anton Edthofer, als gegen Gott und Welt rebellierender Priester, in seiner eindrucksstarken Szene genannt werden. — Das' Publikum feierte Graham Grtįnf yob- es: mindern Stück, etwas -anzufangen-,,weift Jiängtj v.q der Person jedes einzelnen ab.

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