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Neues vom katholischen Humanisten

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Der Lehrerssohn Graham Greene (Großneffe von R. L. Stevenson!) ist der dienstälteste Anwärter auf den Literaturnobelpreis. Er wurde 1904 geboren und wird seit einem Vierteljahrhundert immer wieder ernsthaft als Kandidat für diese Auszeichnung genannt. Schon sein berühmter Romanerstling „Zwiespalt der Seele“ (1929) -ein Thriller -, mit dem Motto „Es wohnt ein zweites Ich in mir und dieses zürnt mir“, zeigt den Autor als psychologisch orientierten Moralisten, und es war nicht verwunderlich, daß er 1934 zum Katholizismus konvertierte.

Auch die Hauptfigur seines neuesten Romans „Der menschliche Faktor“, der zweiundsechzigjährige Maurice Castle, ist auf ergreifende Weise ein trauriger Held, nicht effektvoll wie Don Quijote, und doch mit unscheinbarer Deutlichkeit. Der vielgereiste Graham Greene, ein genauer Kenner Afrikas, stattet sein Romanpersonal gern mit Erfahrungen aus, die er selbst gemacht hat. Castle, Sohn eines Arztes, hat es beruflich nicht weit gebracht. Er ist bei der wenig wichtigen Sektion 6 („Afrika“), genauer: 6A, des Foreign Office angestellt; anders gesagt: beim Geheimdienst des englischen Außenamtes. Und er ist in Berkhamsted, unweit von London, zu Hause. Auch Graham Greene arbeitete zeitweise bei der „Firma“, wie die Insider sagen, und ist übrigens in Berkhamsted zur Welt gekommen.

Typische Zwischenbemerkung: „Drei Jahre Leben in Südafrika und sechs Monate Liebe zu Sarah hatten ihn, er wußte es nur zu gut, in einen Feigling verwandelt.“ Was ist „Der menschliche Faktor“ an diesem untergeordneten, grundsoliden Beamten, der sich dem Pensionierungsalter nähert? Bis vor etwa sieben Jahren hat er als kinderloser Witwer in Pretoria Dienst gemacht und sich dort in das gebildete, sehr junge Bantumädchen Sarah verliebt. Sie gehört, ohne es zu wissen, zu seinem Agentenstab. Die Liaison fliegt auf, trotz aller Vorsicht. Castle hat gegen die Apartheid verstoßen, das Gesetz zum Schutze der weißen Rasse, und mußte einer bedrohlichen Vorladung Folge leisten. Für ihn ist die Bedrohung nicht groß, weil er diplomatischen Status genießt, aber für Sarah sieht es übel aus. Castle hat „rein dienstlich“, nämlich als britischer Geheimagent mit einer kommunistischen Untergrundgruppe Kontakt, sympathischen Leuten, mit denen er jedoch politisch nicht im geringsten sympathisiert, und die retten das Mädchen auf raffinierten Wegen außer Landes, wo er sie trifft und heiratet, wiewohl er weiß, daß sie - von einem Schwarzen - schwanger ist. Auffallend späterhin, daß Sam dunkler ist, als seine Mutter. Maurice liebt dieses Kind, weil es nicht sein eigenes ist, denn er wollte keines. Die Ehe geht gut, aber der Schrecken hat ihn gezeichnet, wirkt nach: Aus Dankbarkeit für die Rettung Sarahs „hilft“ er den damaligen Helfern, als uneigennütziger Agent der Sowjetunion, für die er ansonsten nichts übrig hat. Die „Firma“ weiß, daß es eine undichte Stelle bei 6A geben muß und macht sich auf die Suche, ohne Panik: denn die durchgesickerten „Top Secrets“ sind so unwichtig wie das ganze Drei-Mann-Departement 6A. Interessant waren sie bloß für die Russen: Die bauten in Moskau einen der Ihren als englischen Agenten auf, indem sie ihn, neben gezielt falschen Berichten, als Alibi die Kopie von so manchem echten Official Secrets Act nach England durchgeben ließen. In Verdacht kommt aber Castles völlig unschuldiger Assistent Arthur Davis, weil er gern Portwein trinkt und beim Turf spielt. Das führt zu einer tragischen Konsequenz. Castle, wiewohl außer Obligo, ist menschlich berührt, ja erschüttert und infolgedessen verwirrt.

„Der menschliche Faktor“ wird, genau dem Titel entsprechend, romantechnisch bravourös herausgearbeitet, in Gesprächen und in Handlungen. Die Diktion ist anfangs eher im Plauderton gehalten, aber auch unscheinbare Äußerungen bedeuten etwas, und erst allmählich erkennt man, daß da ein echter Graham Greene vorliegt. Die Agentenstory wird immer spannender, weil die Aufdeckung der seelischen Beweggründe es wird. Und wie üblich bei diesem Autor, ist auch die religiöse Komponente dezent und unübersehbar einbezogen.

DER MENSCHLICHE FAKTOR. Von Graham Greene. Paul Zsolnay Verlag, Wien 1978, 360 Seiten, öS 240,-.

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