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Wer war John Wilmot?

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„Lord Rochesters Affe“ von Graham Greene hat als Buch ein besonderes Schicksal. 1931 bis 1934 konzipiert, wurde „meine Kochester-Biographie von meinem Verleger Heinemann abgelehnt“, und „ich hatte nicht den Mut, sie anderswo anzubieten. Ich kann nur hoffen, daß dem Verlag das Thema und nicht seine Behandlung mißfiel — vielleicht hat er sogar eine Klage wegen Unzüchtigkeit befürchtet“.

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„Lord Rochesters Affe“ von Graham Greene hat als Buch ein besonderes Schicksal. 1931 bis 1934 konzipiert, wurde „meine Kochester-Biographie von meinem Verleger Heinemann abgelehnt“, und „ich hatte nicht den Mut, sie anderswo anzubieten. Ich kann nur hoffen, daß dem Verlag das Thema und nicht seine Behandlung mißfiel — vielleicht hat er sogar eine Klage wegen Unzüchtigkeit befürchtet“.

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Es war ja „die nahezu viktoriani-sche Atmosphäre der frühen dreißiger Ja/hre“, somit das genaue Gegenteil der lockeren Sitten des 17. Jahrhunderts. Graham Greene zitiert na-tünfich in seinem Buch, wenngleich sparsam, auch Verse Rochesters von vulgärer Direktheit. Kurzum, das Werk kam erst 40 Jahre später heraus, nun ohne besonderes Aufseihen — die Zeiten hatten sich geändert: Man ist inzwischen weit drastischere Formulierungen gewohnt.

Der in den Nachschlagwerken als John Wilmot geführte Autor treffender, oft auch nichts als boshafter Satiren auf den König, die Hofleute und andere Zeitgenossen, sowie einer zum Teil frivol-obszönen Liebeslyrik, hieß mit vollständigem Namen John Wilmot, Zweiter Earl of Rochester. Er war der Sohn des wüsten, alkoholfreundlichen Haudegens Henry Wilmot, Erster Earl of Rochester, Generalleutnant der Kavallerie, mehrfach in politische Intrigen verwickelt, und seiner ziemlich vernachlässigten, überaus puritanischen Gattin Anne St. John, Coun-tess of Rochester. Er kam 1647 zur Welt und starb, wie sein Biograph in dem vorliegenden Werk mit pointiertem Wohlwollen schreibt, „an Altersschwäche mit 33 Jahren.“ Besagte „Schwäche“ resultierte aus einem mit 13 Jahren begonnen und bis zum endgültigen Zusammenbruch durchgehauenen, ungewöhnlich ausschweifenden Leben, einer in sehr jungen Jahren aus Frankreich mitgebrachten galanten. Verseuchung jjjpdypiän-dtgen Alkoholexzessen. Es wird berichtet, „daß er ... fünf Jahre lang dauernd betrunken war“.

Hier sei gleich auf eine — schwer vermeidbare — Schwäche der deutschen Fassung hingewiesen. Zur literarischen Identität des Lyrikers Wilmot alias Rochester gehört die Mitverwendung der allergröbsten Umgangssprache damaliger Zeiten, Slangausdrücke, die der Autor aus ordinären Kaschemmen und Bordellen bestens kannte: Wie sollte man diesen 300 Jahre alten und noch dazu orts- und sprachgebundenen Dialekt einigermaßen gültig verdeutschen? Die schriftsprachliche Nachdichtung der Beispiele klingt also, als Dichtung genommen, komisch, weil geradezu geziert; sie müssen als Inhaltsangabe in Versen hingenommen werden, wobei das Entscheidende, die originale Diktion, hinzuzudenken wäre. (Schon Schlegel-Tieck und Genossen hatten diesbezüglich ihre stilistische Not mit Shakespeare!)

Graham Greene zeichnet ein umfassendes Zeitbild und ordnet das Porträt des Dichters als besonders interessantes Detail ein. Der zu Hause streng gehaltene Knabe mit seinem bestrickenden Gehaben kommt als knapp Dreizehnjähriger ins BaMiol College zu Oxford, gegenüber „ein schmieriges, abscheuliches, verkommenes Bierhaus, höchstens gut genug für Bierkutscher und Kesselflicker ... Hier lungern die Leute vom Balliol College beständig herum“, doch so war eben das London von damals, angefangen beim König mit seinen ständig wechselnden Mätressen, zu dessen Günstlingen er schon mit 18 Jahren gehörte. Wiederholt wurde er wegen seiner schier unglaublichen Streiche vom Hofe verbannt, aber das war mehr eine nicht ernstgemeinte Geste, um der Form genüge zu tun.

Auch eine Haft im Tower war nach wenigen Wochen aufgehoben: Der mittellose Lord Rochester hatte die Entführung einer reichen jungen Erbin inszeniert, um sie zu ehelichen, deren Verwandte sie nur an den Höchstbietenden verschachern wollten. Die zweite Entführung der Dame, einige Zeit nachher, glückte dem Earl (wohl mit ihrem Einverständnis), und sie heirateten sogleich, mit Zustimmung des Königs. Diese Gattin, Elizabeth Mollet, Countess of Rochester, gebar ihm zwar mehrere Kinder, lebte aber auf ihrem Landsitz die meiste Zeit ebenso verlassen wie einst die Mutter des John Wilmot. Sie scheinen einander dennoch bis zuletzt zugetan gewesen zu sein. Wenn er, für kurze Sommerwochen, zu Besuch kam, war er ein gefühlvoller Gatte und rührender Vater, aber wenige Meilen entfernt hatte er ein Haus, wo er es wüst trieb, und erst recht in London, wo er mit der Schauspielerin Elizabeth Barry ein mehrere Jahre anhaltendes Verhältnis und auch ein Kind hatte.

Auch den Romancier Graham Greene reizt bekanntlich die Darstellung großer Sünder, besonders, wenn sie sich bekehren ließen. Bei Rochester wird das von den meisten bezweifelt. Der Sterbende, von eiternden Wunden gequält, bereute in solch hilflosem Zustand sein sündhaftes Leben. Weil es ihn krank gemacht hatte öder aus später Moral? Es gab keine Besserung mehr, „um seine plötzliche Bekehrung auf die Probe zu stellen“. Aber die reich und schön illustrierte Lebensbeschreibung dieses dichtenden Wüstlings ist jedenfalls lesenswert.

LORD ROCHESTERS AFFE. Von Graham Greene. Verlag Paul Zsolnay, Wien, 231 Seiten, öS 350.

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