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Greene über Greene

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Die mit Interesse erwartete Autobiographie von Graham Greene ist da und wird von dem gleichen Verlag präsentiert, der auch die deutsche Ausgabe der Werke des erfolgreichen und für unsere Zeit so typischen Autors betreut.

Wie bei den meisten Menschen, wie bei fast allen Dichtern prägen die Jugendjahre die Persönlichkeit: 20 Jahre lang war das düstere Berk- hamsted der einzige Schauplatz seines Lebens und Denkens. Die Familie ist groß: fünf Geschwister, dazu eine Nurse, eine Kinderfrau, der Gärtner, die Köchin und die Haushälterin, Onkel, Tanten und eine Schar Hilfsdienstmädchen. Der Vater ist Rektor einer Schule. Das schafft Konflikte, unterdrückt Rebellionen, zu denen der Junge neigte. Greene studiert in Oxford und tritt zunächst in die Redaktion der „Times“ ein. Bald stellen sich erste Erfolge — und Mißerfolge ein. Die frühe Ehe mit einer jungen Katholikin wird zum unmittelbaren Anlaß seiner Konversion. Er hält sich ln Paris auf und gerät in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg in Verbindung mit dem Geheimdienst. Dann zieht es ihn, bis in die letzte Zeit, immer wieder zu den Unruheherden diese Erde.

Greene ist ein leidenschaftlicher Beobachter alles Menschlichen, besonders, wo es sich in kritischen Situationen befindet: bei religiösen Verfolgungen, Nationalitätenstreitig- keiten, sozialen Umbrüchen. Und immer werden diese Beobachtungen und Erfahrungen in seine Bücher einfließen. Wer sie kennt, wird diese Autobiographie mit größtem Gewinn lesen.

Ein Autobiograph, der an den großen Vorbildern gemessen werden könnte, ist Greene nicht. Dazu fehlt ihm die Ruhe, die Distanz, wahrscheinlich auch die Zeit. So sehen wir nur die Stationen, Kreuzwege und Aussichtspunkte dieses Lebens. Zwischendurch freilich gibt es sehr erhellende Sätze und Passagen. So, wenn er feststellt: „Kinder können Unglück nicht bewältigen, weil sie das Ende des dunklen Tunnels nicht sehen.“ Oder wenn er von dem lähmenden Grauen spricht, das ihm Vögel und Fledermäuse als Kind einflößten und von dem er sich auch heute noch nicht befreien kann. Die aufschlußreichsten Sätze finden sich gegen Ende des Buches (S. 208). Sie könnten als Motto über diesem Versuch einer Selbstinterpretation stehen und zeigen deren selbstgesteckte Grenzen der Relevanz: „Besser man weiß nichts über sich selbst und vergißt leicht…Vergessen soll in Nacht versinken. Wenn es dann eines Tages seinen Weg in ein Buch findet, dann sollte das ohne unser Zutun geschehen und in solcher Verkleidung, daß wir nicht erkennen, wem wir gegenüberstehen…“

EINE ART LEBEN. Von Graham Greene. Paul-Zsolnay-Verlag.

258 Seiten. Preis S 140.—.

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