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Leichtes von Greene

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Robert Hill schrieb einmal über Graham Greene, daß er diesen in die erste Reihe moderner englischer Schriftsteller einreihe — trotz seiner Verquältheit und Humorlosigkeit. Nun denn: Robert Hill kannte Greenes letzte Bücher nicht, weil sie nämlich damals noch nicht erschienen waren: die Novellensammlung „Leihen Sie uns Ihren Mann“ und den Roman „Die Reisen mit meiner Tante“.

Graham Greene sagt selbst über seinen Roman, er sei sein „erstes Buch mit Freilauf“, und die „Time“ urteilt: „Es ist, als hätte Shakespeare nach seinen Tragödien nicht den .Sturm', sondern .Charleys Tante' geschrieben.“ Die Meisterschaft des brillanten Erzählers dokumentiert sich auf jeder Seite ebenso wie die Scharfsichtigkeit des Menschenbeobachters und des Satirikers, vor allem aber die Phantasie des Erfinders einer so abenteuerlichen Figur, wie diese Tante Augusta.

Zu dem Zeitpunkt, da sie ihren Neffen (in Wirklichkeit ihren Sohn) nach einem halben Jahrhundert wiedersieht — und da der Leser sie kennenlernt — ist sie gute 75 Jahre jung. Mit ihrem leuchtend roten hochauftoupierten Haar und in einem Kleid, daß die Königin Mary getragen haben könnte, ist sie immer noch voller Unternehmungslust und Schelmerei, ja, man möchte es nicht für möglich halten: voller Liebreiz. Was sie früher war läßt sie (und auch der Dichter) ein wenig im Dunkel. Aber das Dunkel ist licht genug, um zu mutmaßen, daß sie in den vielen zweifelhaften Etablissements zwischen London, Istanbul und Rom nicht nur als Künstlerin gearbeitet hat...

Ihr Reisebegleiter, der diesen Bericht in der Ichform aufgezeichnet hat, ist ein seit zwei Jahren pensionierter Bankbeamter, 50 oder 55 Jahre alt, Junggeselle und Dahlienzüchter, vorsichtig und ängstlich, auch (oder besonders) Frauen gegenüber. Aus seinem gleichmäßig-ruhigen, langweiligen kleinbürgerlichen Dasein reißt ihn die um mindestens 20 Jahre ältere „Tante“ in ein neues, fremdartiges, abenteuerliches Leben. Sie reisen zusammen nach London, wo sie in den nobelsten Hotels absteigen, nach Istanbul und schließlich nach Paraguay. Alle diese Städte sind gepflastert mit Erinnerungen der Tante Augusta und in ihrem Gedächtnis eingeprägt durch die Liebhaber, die sie einstmals, vor vielen Jahren, hatte, und von denen einer die „Hundekirche“ erfand. Aber manche dieser Amouren sind noch nicht gar so lange her... All das erzählt die ungewöhnliche Tante ihrem teils amüsierten, teils ein wenig konsternierten Neffen auf diesen Reisen, nebst vielen kleinen Geschichten und Abenteuern aus ihrem abwechslungsreichen Leben; auch von ihren Tricks, die Gesetze zu umgehen oder zu ignorieren, etwa das gegen den Schmuggel, zum Beispiel von Goldbarren. — Daß das Neffen Urne mit der Asche seiner vermeintlichen Mutter auch in eine von Tante Augustas Geschichten gerät, hat sich Greene als besonderen, makabren Scherz ausgedacht. Aber die übrigen Abenteuer muß man selbst lesen.

Wie dankbar das Publikum für etwas „Leichtes“ aus der Feder eines großen und geistreichen Autors ist, sieht man an den Auflagen dieses Buches, von dem in England bereits 80.000, in Frankreich 75.000 und in Amerika über 100.000 Exemplare verkauft wurden.

DIE REISEN MIT MEINER TANTE. Von Graham Greene. Roman. Paul-Zsolnay-Verlag Wien-Hamburg. 308 Seiten. Preis S 130.—.

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