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Graham Greene — kein Essayist

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„Sämtliche Essays" von Graham Greene sind, kurz gesagt, keine Essays, es sind routiniert harmlose Plaudereien über Literatur und Literaten.

Ob Roman, Autobiographie oder bloßer Krimi, bei diesem Autor ist man sonst beim ersten Satz mitten drin. Doch wie oft er im Laufe der Jahre auch über Henry James schreibt, es besagt nicht viel. „Der Altmeister stand immer — gestehen wir es nur ein — im Verdacht einer gewissen Gewöhnlichkeit.“ Eine „gewisse Gewöhnlichkeit“ bleibt, stilistisch, eine ganz ungewisse, und was vorher in Paranthese steht, war keine These, sondern eine Phrase. Auch „Der junge Dickens“ ist von weniger berühmten Schriftstellern schon besser beschrieben worden; soll er etwa für sich selbst sprechen? Fast durchweg arbeitet nämlich der Verfasser bei diesen meist sehr kurzen Aufsätzen mit überlangen Zitierungen. Seitenweise kommt der zu behandelnde Literat zu Wort, die Länge der Zitate steht in einem grotesken Mißverhältnis zur Kürze dessen, was Graham Greene dazu zu sagen weiß. Über eine offenbar schlechte Chesterton-Biographin; „Ihre Biographie ist oft sehr interessant: Sie ist eine brauchbare und manchmal deutliche Richtigstellung von …“ Kann eine nur „manchmal deutliche“ Richtigstellung eine „brauchbare“ sein, die „oft“ interessant ist? Wie oft? Mancher stilistische Unsinn mag in der Übersetzung liegen oder durch sie verstärkt worden sein. Unwahrscheinlich, möchte man als alter Greene-Leser gerne meinen,, daß ,er auf englisch versuchte, „mich auf einige rote Fäden zu konzentrieren“, weil ein Buch zwar, metaphorisch, aus ver-

schiedenen Fäden gewebt sein, aber einem literarisch erlauchten Ondit zufolge nur einen roten Faden haben kann. Er stammt noch dazu (laut Goethes bekanntem Hinweis in den „Wahlverwandtschaften“) von der englischen Marine, über deren Tauwerke unser Klassiker berichtet, „daß ein roter Faden durch das Ganze geht, den man nicht heraus- winden kann, ohne alles aufzulösen …“

Freilich gibt es zuweilen eine gute Formulierung, etwa über Edgar Wallace: „Statt des Künstlers haben wir bei ihm ein Phänomen vor uns, das von Balzac erfunden sein könnte — die menschliche Buchmaschine.“ Oder über eine Begegnung mit Fidel Castro, dem er nachsagt, er sei „ein Marxist, der den Kommunismus naoh dem Gehör und nicht nach Noten spielt“. Das Zigeunerhafte dieser Figur kommt hier glänzend zum Ausdruck. Doch solche stilistisch-geistigen Glücksfälle bleiben leider selten im Falle dieses Sammelsuriums.

SÄMTLICHE ESSAYS. Von Graham Greene. Verlag Paul Zsolnay, Wien-Hamburg, 1974. 447 Seiten.

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