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Wozu lernt man Keramik?

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Wenn der Laie das Wort Keramik hört, fällt ihm dazu meist nur wenig ein. Möglicherweise denkt er noch an sein Kaffeeservice, an die häßliche Vase im Wohnzimmer, Marke Hochzeitsgeschenk, und an sein verfliestes Badezimmer. An mehr jedoch nicht.

Keramik kann aber mehr sein. Keramik kann auch Kunst sein. Sie wird an Hochschulen gelehrt, in Linz und Wien.

Doch Keramik ist offenbar ein ungeliebtes Kind, führt ein Schattendasein an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien.

Was oder wer ist schuld am Mauerblümchendasein der Keramiker?

Das immer noch geringe Interesse seitens des Publikums sowie mangelnde Bereitschaft von öffentlicher Hand, Gewerbe und Industrie, Aufträge an Keramiker zu vergeben — sagen die Künstler.

Gewerbe und Industrie sind da anderer Ansicht — denn für sie ist der Absolvent der Meisterklasse ein Künstler, der sich am freien Markt behaupten muß. Er kann nur sehr beschränkt in den Produktionsprozeß eines keramischen Gewerbebetriebes eingebunden werden.

Seit eineinhalb Jahren weht nun ein frischer Wind durch einige Atelierräume in der Angewandten am Wiener Kopalplatz. Matteo Thun, Architekt, Designer und Keramiker, übernahm als Gastprofessor die Meisterklasse für Keramik. Der Südtiroler ist Nachfolger von Maria Bilger, „einer Keramikerin der alten Schule und der alten Tradition“ (Rose-marie Benedikt, Meisterklassenassistentin), und versucht, den rund 30 Schülern seine Begriffe von Kunst und Keramik zu vermitteln.

Womit er sich aber nicht nur Freunde schafft.

„Ich definiere den Begriff Kunst neu. Ich nehme bei der Definition die Überlegung hinzu, was ein Absolvent einer Meisterklasse nach Beendigung seines Studiums mit seiner Ausbildung anfängt — ich stelle also rein exi stentielle Überlegungen an, und danach richte ich auch meine Ausbildung aus“ (Thun),

Damit die Vorstellung des arbeitslosen Keramikers auch gar nicht aufkommt, verlegte der Meisterklassenleiter die Ausbildung in Richtung Design.

Thun versucht damit, mit seinen Schülern auf einen Zug aufzuspringen, der international schon längst abgefahren ist. Österreich fuhr bisher, was die Keramikkunst betrifft, auf dem Nebengleis. Die Zeit der Wiener Werkstätte, als Österreich in den 20er Jahren großen Ruhm erringen konnte, ist längst vorbei. Namen wie Powolny, Obsieger oder Ohnsorg sind Kunstgeschichte.

Der Gastprofessor aus Südtirol versucht also, neue Wege zu gehen, was das Künstlerische betrifft - weg von der „getöpferten“ Kaffeekanne hin zur „designten“ Kaffeekanne. Aber auch in der Ausbildung probiert Thun Neues: nach dem Hebammenprinzip, wie er es bezeichnet, möchte er „aus jedem Schüler das rausholen, was er von der Keramik will. Ich versuche zu verstehen, was in jedem drinnensteckt, künstlerische Begabung darf nicht durch akademische Strukturen verbaut werden.“ Die Studenten des ersten Semesters sollen sich sofort in die Arbeit, auf den Ton stürzen.

„Das Leben ist zu kurz, um Keramik zu lernen. Für den jungen Studenten ist daher das Erfolgserlebnis besonders wichtig, das Gefühl, seine Idee zu Form gebracht zu haben. Obwohl ich weiß, daß man der Faszination der Zufälligkeit verfallen kann“ (Matteo Thun).

Ein billiges Erfolgserlebnis lehnt Thun jedoch ab, und seine Schüler müssen das Handwerk von der Pike auf lernen. Nur das Endprodukt ist Thun mehr oder weniger egal: „Es ist eine geistige Öffnung notwendig, um die traditionellen Grenzen der Keramik zu sprengen. Es ist irrelevant, mit welcher Arbeit ein Keramiker sein Geld verdient; leben muß er davon können.“

Und von der Keramik können nur wenige in Österreich leben — obwohl das Interesse und das Verständnis seitens des Käuferpublikums größer geworden ist.

Das kann man zumindest im Keramikstudio in der Wiener Kru- gerstraße feststellen, einer Galerie, die seit zwei Jahren als einzige in Österreich ausschließlich mit Keramik und Porzellan handelt.

Der Ruf nach Gewerbe und Industrie als Partner der Keramiker wurde in letzter Zeit immer lauter. Denn mit Arbeitsplätzen für diplomierte Meisterklassenabsolventen sieht es schlecht aus. „Den letzten, den ich kannte und der in der Industrie untergekommen ist, landete in einer Bierkrügelfabrik im Schwarzwald“, weiß Studentenvertreter Manfred Hirschbrich zu berichten.

Doch auch mit dem Keramikgewerbe sieht es in Österreich zur Zeit nicht besonders gut aus. Es gibt zwar etliche kleinere Keramikbetriebe, die sich aber allesamt aus wirtschaftlichen Gründen keinen Keramiker oder Designer leisten können. Teüweise auch deshalb, „weil wir auf den Export angewiesen sind — und man im Ausland eben Traditio-nelles von uns erwartet“, erklären unisono Ernest Gaberszig, Vorstandsdirektor der Wiener Porzellanmanufaktur Augarten, und Friedrich Kuhn, Betriebsleiter der „Gmundner Keramik“.

Und Österreich sei eben kein Land der künstlerischen Innovationen, fügen beide noch hinzu.

Kuhn sieht den Ruf der Hochschule nach der Industrie noch in einem anderen Licht: „Die sind ja gar nicht besonders daran interessiert, wenn man ihnen Themenvorschläge macht. Die arbeiten lieber auf eigene Faust... “. Außerdem seien die teilweise extravaganten Designformen schwer verkäuflich, und eine Aufnahme ins Sortiment käme viel zu teuer. „Und stellen Sie sich vor, Sie haben ein viereckiges Kaffeehäferl, und der Kaffee rinnt Ihnen beim Trinken rechts und links am Mund vorbei. Na, da sagt der Käufer zu Recht, das ist eine halbe Sache und kauft das nächste Mal nichts mehr .Modernes*“, plaudert Gaberszig aus der täglichen Praxis. Matteo Thun ist zuversichtlich. „Wir werden in Klein-serien produzieren, Markt und Interesse sind vorhanden. Das scheint mir der einzig gangbare Weg zu sein.“

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