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Reife im Windhauch

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Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit, lesen wir im Buch des alttestamentarischen Gelehrten Kohelet (3,1 f.): eine fürs Pflanzen, eine fürs Ernten. In Österreich ernten in diesen Tagen zwei betagte Mitbürger die Früchte ihres Lebenswerkes in Form von Mitbürgerlob: Franz Olah, der am 13. März 85 wurde, und Rudolf Kirchschläger, der am 20. März 80 Jahre alt sein wird.

„Ich vollbrachte meine großen Taten”, darf Olah im Stil des Königs sagen, in dessen Kleid Kohelet, um bei seinem Text zu bleiben, literarisch schlüpfte (2,4). Aber: „Windhauch, Windhauch ist alles” (1,2) und „Luftgespinst” (2,26). Olah ist höher gestiegen als viele andere und tiefer gestürzt als irgendwer: vom Hernalser Klaviermacher zum ÖGR- und Nationalratspräsidenten, vom Innenminister zum Opfer der Strafjustiz -dank schändlichem Verrat von Parteifreunden, wie man heute wohl ohne Widerspruch sagen darf.

Sein Eintreten für die Demokratie in Österreich, sein Mut und Instinkt im Oktober 1950, sein Beitrag zur Aussöhnung der Sozialdemokratie mit der römisch katholischen Kirche und sein imponierender Reifungsprozeß in den letzten 30 Jahren, an deren Früchten er Freunde unterschiedlicher politischer Herkunft teilnehmen ließ, werden unvergessen bleiben.

Unvergessen aber auch der ganz anders geschnitzte Mühlviertier Reamte und Richter Rudolf Kirchschläger: skrupelhaft korrekt, sich jeder Rechtsgrenze mit Ehrfurcht nähernd, vertrat und diente Österreich als Kabinettschef zweier Außenminister, Gesandter in Prag, Außenminister (1970-74) und zweimal Bundespräsident (bis 1986) nach dem „sanften Gesetz” seines Landsmanns Adalbert Stifter. Die Inhalte der österreichischen Neutralität etwa, die er vertrat und exekutierte, waren in seinen Tagen unverzichtbar und exi-stenzsienernd. Sein Amtsstil als Staatsoberhaupt hatte Substanz.

Der Windhauch der Zeit ist auch über die Tage Kirchschlägers und Olahs hinweggegangen. Die (unterschiedlichen) Klagen beider über manche der heutigen Zeitläufte werden von vielen geteilt. Die Gottesfurcht beider aber (beim einen allen, beim anderen nur wenigen vertraut) macht sie beide noch einmal zu Kohelets Zeugen (7, 18): Solche Menschen „handeln in jedem Fall richtig”.

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