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Der letzte der T ribunen

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„Olah besaß keinen Rennstall, er umgab sich auch nicht mit schönen Frauen — sein Luxus war die Macht.“

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„Olah besaß keinen Rennstall, er umgab sich auch nicht mit schönen Frauen — sein Luxus war die Macht.“

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Georg Nowotny („Die Presse“, 24.125. Oktober 1964)

Nun ist alles vorüber. Das Scherbengericht des SPÖ-Vorstandes über den unbequem gewordenen ehemaligen Innenminister und früheren Präsidenten des Gewerkschaftsbundes — lange geplant und mehrmals aufgeschoben — hat stattgefunden. Der Spruch war ein Bannfluch. Wenn es bis vor kurzem noch einen Zweifel gab, ob die zahlreichen Gegner Franz Olahs in den Führungsgremien der SPÖ zum Äußersten entschlossen seien oder eine „österreichische Lösung“ anstrebten: Seit voriger Woche gab es keinen Zweifel. Spätestens seit diesem Zeitpunkt war den Gegnern des heißumkämpften Mannes die alte .Jagdregel in Erinnerung gerufen: Ein angeschossener Eber ist viel gefährlicher als ein unverwundeter. Deshalb zielten sie auf das sozialistische Herz. Parteiausschluß.

An Begründungen für diesen außergewöhnlichen Schritt hat es keinen Mangel. Man hört und liest von finanziellen Transaktionen, von SW-Krediten, von einem schwarzen Fonds für Zuwendungen an Zeitungen, schließlich von einer Million für die Kassen der FPÖ. Geld, das in eigene Taschen floß, konnte in diesem Fall nicht zur Diskussion stehen. Von allen diesen Anschuldigungen hat allein die des Kaufes einer bestimmten politischen Gruppe Gewicht. Dabei geht es uns nicht einmal so wie Franz Olahs ehemaligen Parteifreunden um jenes persönliche „Vorkaufsrecht“, das der ehemalige Gewerkschaftsbundpräsident sich 1962 sicherte, als er die ein halbes Jahr später zur offiziellen Parteilinie erhobene Schwenkung in Richtung „kleiner Koalition“ gleichsam vorwegnahm. Unsere Bedenken sind hier prinzipieller Natur. Das andere: Darlehen, Vorschüsse usw., die nicht genügend gedeckt waren; sie sind gewiß keine Empfehlung als Vorbild für den Buchhalternachwuchs. Jedoch Hand aufs Herz: Nur jener Politiker, der noch nie in seinem Leben Geld für seine Partei zum Rollen brachte, ist berechtigt, den ersten Stein zu heben. Alles andere ist Pharisäertum. Franz Olahs todeswürdige — für den Parteitod würdige — Verbrechen lagen auf einem anderen Gebiet. Er suchte über den Parteiapparat hinweg direkt bei den „Massen“ anzukommen. Das Volks- tribunat, das Franz Olah anstrebte, war es, was seine Parteifreunde nicht verziehen, nicht verzeihen konnten. Sein sprunghaftes, ja mitunter zur Unberechenbarkeit neigendes Temperament verstärkte diesen Unsicherheitsfaktor. Er erleichterte aber auch nicht zuletzt die Exekution.

So ist Franz Olah gefallen. Die immer breiter werdende Kluft, die zwischen dem „Volksmann“ und den Parteiintellektuellen, für die der Name von Justizminister Broda nur eine Chiffre ist, sich in den letzten Jahren immer sichtbarer auftat, ist mit dem Gegensatz zwischen Renner und Bauer in der Ersten Republik verglichen worden. Auch von dem „Pragmatiker“, ja dem „christlichen Sozialisten“ Olah, der wider die „Austromarxisten“ stand, war die Rede. Das alles sind klingende Worte, aber Halbwahrheiten.

Wenn unsere Zeitgenossen einen besseren Umgang mit Frau Historia hätten, wenn sozialistische und „bürgerliche“ Journalisten besser bewandert in der Geschichte der Parteien wären, so hätten sie zwangsläufig auf einen anderen Namen stoßen müssen. Es gab schon einmal einen „Franzi“ in der sozialistischen Bewegung, der ein echter Tribun war, der die Phantasie der Massen erregte.

Er stand auch nicht auf dem besten Fuß mit den Parteiintellektuellen, und auch in seiner „Pressepolitik“ ging er eigene Wege, die man ihm auf der Rechten Wienzeile krumm nahm. Wir sprechen von Schuhmeier. Der Pistolenschuß eines politischen Attentäters ließ die damals mit der Person Schuhmeiers verbundene Problematik der Sozialistischen Partei nicht zur vollen Schärfe ausreifen. Man soll in der Geschichte über Jahrzehnte nicht krampfhaft nach Parallelen suchen. Jede Zeit formt ihre Menschen. Aber der Franz Schuhmeier aus Ottakring und der Franz Olah aus Hernals haben doch viel mehr gemeinsam als nur die Nähe ihrer politischen Heimatbezirke.

Einem Lebenden schreibt man keinen- „Nachruf“. Über da3 nächste ‘Kapitel seines Lebens entscheidet Franz Olah allein.

Aber wenn man heute, wo seine Partei Olah von sich stößt, zurückschaut, so wird man zunächst des jungen Gewerkschafters ansichtig, der im Endkampf um Österreich gemeinsam mit „vaterländischen“ Gegnern antritt. Sieben Jahre KZ-Haft folgen — nicht geeignet, angeschlagene Nerven zu kräftigen. 1945 und in den Jahren darnach steht Olah für jene neue sozialistische Generation, die im Gegensatz zu Otto Bauer und seiner „gesamtdeutschen Revolution“ ein überzeugtes und überzeugendes Ja zu Österreich ausspricht. Im Oktober 1950 wird er dies anläßlich des kommunistischen Generalstreikversuches durch die Tat bekräftigen. Immer stärker deckt er auf den greisen Präsidenten des österreichischen Gewerkschaftsbundes, Johann Böhm, auf. Nach dessen Tod ist er sein unbestrittener Nachfolger. Die folgenden Jahre werden Olahs große Zeit. Seine unkonventionelle, zupackende Art weckt in einer immer mehr zur Routine degenerierenden Tagespolitik Aufmerksamkeit auch bei Menschen, die am 1. Mai nicht die rote Nelke ins Knopfloch stecken. Der „neue Kurs“ der Sozialisten gegenüber der katholischen Kirche — die Gerechtigkeit gebietet festzuhalten, daß Olah nie allein dafür „Urheberrechte“ in Anspruch nahm — findet jedoch in ihm, der nie aus der Kirche ausgetreten war, ohne Zweifel den überzeugendsten Repräsentanten. Wenn unter den gegen den nunmehr gestürzten ehemaligen „Herrn der starken ge- gewerkschaftlichen Bataillone“ zusammengetragenen Gravamina gelegentlich auch jenes zu hören ist, „in seinem Vorzimmer sei man stets über einen oder zwei Pfarrer gestolpert“, so paßt dies nicht in das Bild einer SPÖ, die auch nach und ohne Franz Olah Beziehungen in einem wohltemperierten Klima mit der Kirche pflegen will. In das Bild, das sich nicht wenige Katholiken wiederum von Franz Olah machten, fügt sich schwer, daß dieser, während er mit ihnen „im Gespräch“ stand, mit Herrn Peter politische Geschäfte in Richtung auf die rot-blaue Koalition abschloß.

Und dann kam der Innenminister Olah. Konnte man noch vorher damit rechnen, von einem Mann wie jenem, der in der Rede zu Trieben neue Töne in der österreichischen Innenpolitik zum Klingen gebracht hatte, doch beachtliche staatspolitische Initiativen zu erwarten, so traf man bald auf einen nicht geringen Scherbenhaufen. Der neue Herr in der Herrengasse verzettelte sich in kleine und kleinliche Aktionen zum Teil spektakulärer Natur. Zudem nahm das in ihm in nicht geringen Dosen stets vorhanden gewesene Mißtrauen ganz von seiner Person Besitz. So stieß er profilierte Mitarbei-- ter von sich, die jeinen Einzug in die Herrengasse zunächst mit ehrlicher Aufgeschlossenheit und großen Hoffnungen für die Stärkung einer wirklich durchschlagskräftigen Exekutive begrüßt hatten. Der Weg talwärts begann sich in seinen ersten Konturen abzuzeichnen. Wer Immer eine kleine oder größere Schwäche für den Menschen Franz Olah hatte, verstummte bald in Trauer. Es war im vorigen Winter, als Kurt Vorhofer in einem glänzenden Artikel in der „Kleinen Zeitung“ (8. II. 1964) die Gefahren ausmaß, die in der Person Franz Olah selbst für den Politiker Franz Olah gegeben waren. Der Titel sagte schon alles: „Franz Olah — ehe es zu spät ist.“ Hier lesen wir: „Olah weckt in uns in erster Linie das Gefühl der Trauer. Denn wir glauben, seine Vorzüge recht gut zu kennen: Entscheidungsfreudigkeit, hohe politische Intelligenz, Arbeitsfleiß und persönliches Ethos. Er gehört in die Gruppe der sozialistischen Puritaner. In die Gruppe der Reinheitsfanatiker. Das sind an sich wunderbare Leute. Olahs Puri- tanertum wirkt manchmal etwas gekünstelt. Es ist nicht ganz frei von Pose. Zudem schafft ein allzu übertriebenes Sendungsbewußtsein in der Demokratie naturgemäß Schwierigkeiten. Aber das alles zusammen enthält im Grunde so viel Positives, daß man sagen kann: Es wäre schade um Olah, würde er scheitern. Und er wird wahrscheinlich scheitern, wenn er so weiter macht, oder falls er nicht •’scheitert, obwohl er ,so ,uweitermac itk wird, er seinen guten Namen verlieren, den er überall hat in allen Lagern. Diese Gefahren bestehen, und das ist ein großer Jammer. Wir haben nämlich sehr wenig überdurchschnittliche Leute in der Politik. Deshalb müssen wir um jeden einzelnen bangen, um jeden wäre es jammerschade.“ v Vorhofer bangte zu Recht. Und er bangte nicht allein. Wenn seine Gegner in der Sozialistischen Partei nun Olah zur Strecke gebracht haben, so nicht zuletzt, weil Franz Olah zunächst sich selbst kräftige Wunden geschlagen hatte. Im Grunde: eine österreichische

Tragödie.

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