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Die Machtprobe

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mals das gemacht, was heute in den ehemaligen Oststaaten mühselig und unter Risiken gemacht werden muß.

FURCHE: Unter damals noch schwierigeren Umständen...

OLAH: Wir hatten verheerende Zerstörungen und militärische Besetzung. Wir hatten in der Ostzo- ne die sowjetische Besatzung und wir wissen alle, wie sie sich ausge- wirkt hat: katastrophal, rücksichts- los gegenüber Menschen. Wir muß- ten versuchen, auch unter einer Besetzung eine tragfähige wirt- schaftliche Basis zu erreichen.

FURCHE: Wenn so etwas gesche- hen muß, ist natürlich Widerstand zu erwarten. Dieses Vierte Lohn- Preisabkommen war im Moment ein außerordentlicher Rückschlag ei- nes ohnehin niedrigen Lebensstan- dards.

OLAH: Das Vierte Lohn- und Preisabkommen brachte sicherlich einen tief en Einschnitt. Es war keine extreme Verschlechterung. Die amtlich geregelten Preise haben mit dem Lohn- und Preisabkommen mitgehalten, die nicht geregelten Preise sind stärker gestiegen. Wir hatten keine nazistische Befehls- wirtschaft mehr, wo eine Über- schreitung eines Preislimits mit der Todesstrafe bedroht war. Größere Lohnerhöhungen - natürlich hät- ten sie die Gewerkschaften durch- setzen können, aber was wäre die Folge gewesen? Noch mehr Waren wären in den Schwarzmarkt abge- wandert. Das ganze Bestreben, wirtschaftliche Grundlagen für diesen Staat zu schaffen, wäre kaputtgegangen. Wenn die Ware nicht da ist, nützt das höhere Ein- kommen nichts. Denken Sie daran, wie oft die Polen seit 1970 versucht haben, die Grundnahrungsmittel- preise zu erhöhen, um die Subven- tionen abbauen zu können. Immer ist die kommunistische Parteifüh- rung zurückgewichen. Das Ergeb- nis ist ein totaler wirtschaftlicher Zusammenbruch. Die Kredite sind verwirtschaftet worden. Das Volk lebt heute schlimmer als je zuvor.

FURCHE: Welche Rolle spielte dabei der Marshallplan?

OLAH: Die Amerikaner haben zu uns gesagt: Sie bekommen jetzt Geld durch die Marshall-Plan-Hil- fe, aber wenn Sie alles aufessen, werden Sie nach vier Jahren schlechter dastehen als vorher. Sie müssen die Subventionen ein- schränken, sie müssen mehr Roh- stoffe, mehr Maschinen kaufen, die Produktion in Gang bringen. Sie müssen Waren exportieren, um selber Devisen zu erlösen und damit einzukaufen und ihre Wirtschaft langsam auf eigene Füße zu stellen. Das mußten wir tun. Nach dem fünften Lohn- und Preisabkommen, ein Jahr später, haben wir die Din- ge freigegeben und zwei Jahre spä- ter waren wir aus dem Gröbsten heraus.

FURCHE: Kann man sagen, daß die Kommunisten versucht haben, noch einmal diepolitische Entwick- lung mitzubestimmen oder war es wirklich ein Versuch, das politi- sche System zu verändern?

OLAH: Der erste Schritt wäre sicher gewesen, mitzubestimmen, nicht, das ganze System zu ändern. Gleich am Anfang wäre es nicht möglich gewesen, da Österreich vierfach besetzt war und nicht nur sowjetisch. Aber wenn es ihnen gelungen wäre, wieder mitzube- stimmen - wäre eine solche Regie- rung von den Westmächten noch als vollwertig anerkannt worden? Hätte es nicht der Anlaß sein kön- nen für ein Auseinanderdriften der Besatzungszonen?

FURCHE: Es gibt Indizien dafür, daß die Kommunisten sich erhofft haben, daß die Arbeiterschaß in den westlichen Bundesländern beim Generalstreik mitgeht und daß sie die Rücknahme des vierten Lohn- und Preisabkommens erzwingen konnten.

OLAH: Nur - was hätten wir mit der Rücknahme erreicht? Das Er- gebnis wäre ein totaler wirtschaft- licher Zusammenbruch gewesen. Es hat sogar sozialistische Manda- tare an der Spitze der Demonstra- tion gegeben. Wo eine große Masse ist, gibt es eben viele, die sich an die Spitze stellen. Wir mußten dem mit aller Gewalt entgegentreten, weil es um den Bestand des Landes ging. Hätten die USA, Großbritannien, Frankreich einer Regierung einen Staatsvertrag gegeben, die unter kommunistischen Einfluß geraten wäre?

FURCHE: Die ganze Nachkriegs- zeit hindurch wurde der Anschein erweckt, als wäre es so, daß die Kommunisten den Staatsvertrag blockierten und die drei westlichen Besatzungsmächte wollten ihn.

OLAH: Aber die drei westlichen Besatzungsmächte schwankten ja wahrscheinlich auch. Besonders die Amerikaner, denn er hat ja das Ende der Natoverbindung Nord-Süd bedeutet, über Tirol.

FURCHE: 1955 hat sich dann her- ausgestellt, daß auch die Englän- dersehrstarke Bedenkengegen den Staatsvertrag hatten.

OLAH: Die Engländer waren uns an sich nicht sehr freundlich ge- stimmt. Es hat Jahre gedauert, bis England den Kriegszustand mit Österreich formell beendet hat. Die Engländer waren am Anfang die uns am wenigsten freundlich Ge- sinnten.

FURCHE: War der Generalstreik-

versuch nun aber ein unmittelbarer Staatsstreichversuch, wie man so oft hörte und las, oder hätte ein Gelingen Österreich „nur" auf längere Sicht in eine Situation ge- bracht, in der unsere wirtschaftli- che Entwicklung und der Staats- vertrag gefährdet worden wären?

OLAH: Ein politisch geführter Generalstreik endet, wenn er Er- folg hat, mit dem Sturz der Regie- rung, und eine Regierung, die kapi- tuliert, muß gehen. Da treten dann andere Kräfte an ihre Stelle, die in

Wahrheit im Staat bestimmen. Was gekommen oder gewesen wäre, kann man heute nicht sagen. Es wäre eine unübersehbare Entwick- lung für das Land gewesen. Wir konnten keine Experimente brau- chen, weder auf wirtschaftlichem noch auf politischem Gebiet. Je- dem, der stören wollte, mußte man Einhalt gebieten.

FURCHE: Die Russen haben sich mit wenigen Ausnahmen herausge- halten?

OLAH: Mit Ausnahme einer ent-

scheidenden Maßnahme, daß sie in der gesamten sowjetischen Zone die gesamte Exekutive lahmgelegt haben. Es ging ein Befehl der so- wjetischen Kommandantur an Gendarmerie und Polizei, die soge- nannten Generalstreikenden und Betriebsstürmer nicht zu behin- dern, nictyt einzugreifen. Diese konnten machen, was sie wollten. Das geht über ein passives Zu- schauen weit hinaus. Ich weiß nicht, ob die Amerikaner und Bri- ten nicht eingegriffen hätten, wenn wir uns nicht selber hätten erwehren können. Unser ganzes Bestreben war: Kein Eingreifen der Besatzungsmächte, keine Waf- fengewalt. Mir ist vorgeschwebt, nicht noch einmal zu kapitulieren, so wie wir 1938 kapituliert haben.

Mit Franz Olah sprach Hellmut Butterweck.

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