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OSWALD von NELL-BREUNING / VERSÖHNER IN DEUTSCHLAND

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In einer bescheidenen Zelle in der Jesuitenhochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main arbeitet Oswald von N e 1l-Breuning, der am 8. März 1960 siebzig Jahre alt wurde. Der Weltkatholizismus und die Bundesrepublik Deutschland verdanken diesem Manne mehr, als beide oft wissen wollen. Oswald Nell-Breuning ist der Mann in der jungen Kirche der Neuzeit, der mutig den entscheidenden Schritt von einer idealistischen christlichen Gesellschaftsphilosophie zur harten Wirklichkeit des Kampfes im gesellschaftlichen Raum tat. Gewiß, er hat Vorläufer und Weggenossen, die mit ihm die Vorarbeiten für die Enzyklika „Quadra-gesimo Anno“, die Grundlage neuerer katholischer Soziallehre legten. Dann aber ging er, einsam und nüchtern, umsichtig und unerschütterlich weiter, und steht heute in der Bundesrepublik mitten zwischen den verhärteten politischen und sozialen Fronten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund durfte diesen seinen steten Kritiker seinen „treuen und aufrechten Freund“ nennen. Nell-Breuning gehört zu den ganz wenigen christlichen Sozialphilosophen und Gesellschaftskritikern, die auf der deutschen demokratischen Linken ernst genommen werden, obwohl sie dieser immer zur rechten Zeit ernste Wahrheiten ins Gesicht sagen. Gleichzeitig war Nell-Breuning ein geistiger Vater des Ahlener Programms der CDU, auf das die christlichsoziale Arbeiterschaft ihre großen Hoffnungen setzte, um 1948, und mit ihr alle jene Kreise in Deutschland, die sich die junge CDU und CSU, die sie mitgründeten, als eine wirklich neue Partei, eine Partei neuer Wege und neuer Ziele, und nicht zuletzt einer wirklichen Gesellschaftsreform vorstellten.

Am 8. März 1890 in Trier geboren, wird Oswald Nell-Breuning 1921 als Mitglied der Gesellschaft Jesu zum Priester geweiht. 1928 erhält er einen Lehrstuhl für christliche Gesellschaftslehre und Ethik an der Philosophisch-theologischen Hochschule St. Georgen. Im gleichen Jahr erscheint sein aufsehenerregendes Buch über die Börsenmoral, in dem er feststellt, daß selbst das hochkommerzielle und die menschlichen Schwächen so herausfordernde Spiel an der Börse ohne feste sittliche Grundlage nicht bestehen könne. Seit 1949 liest Nell-Breuning an der Akademie für Arbeit, seit 1948 auch an der Universität in Frankfurt.

Drei heiße Eisen hat Oswald Nell-Breuning in besonderer Weise in der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik aufgegriffen: die Sozialreform, die Grundfragen des Gewerkschaftsbundes, die Beziehungen zwischen Kirche und Sozialismus. Vor katholischen Unternehmern erklärte er bereits 1955, die Aufgabe einer Sozialreform in einem wiedervereinigten Deutschland liege zwischen einer bereits vollzogenen, korrekturbedürftigen, aber nicht mehr zu widerrufenden Sozialreform im Osten und einer fälligen, erst in Ansätzen sichtbaren Sozialreform im Westen.

Nell-Breuning hat, als Freund und Kritiker des Deutschen Gewerkschaftsbundes, zunächst mit dessen radikalem Flügel unter Viktor Agartz bis zu dessen Ausbootung schwere Gefechte ausgetragen und steht seither als unablässiger Warner vor ideologischer Verblendung und gefährlicher Lizitations-demagogie der deutschen Einheitsgewerkschaft zur Seite: als ein großer, unbequemer Freund, vielbefehdet dazu von dem neugegründeten CGB, dem Bund christlicher Gewerkschaften.

Aufsehen erregt hat in der letzten Zeit seine Kommentierung des neuen Grundsatzprogramms der SPD. Sehr im Gegensatz zu den hämischen, teilweise gehässigen Urteilen aus parteigegnerischen Kreisen, untersucht dieser bedeutendste lebende katholische Sozialdenker Deutschlands diese Stellungnahme des deutschen demokratischen Sozialismus. Wobei er zum Schluß kommt: gerade das, was die Enzyklika Quadragesimo Anno als „sozialistische“ Auffassung von der Gesellschaft ablehnt, wird im Godesberger Grundsatzprogramm ebenso eindeutig abgelehnt. Bei aller Übereinstimmung mit der Kirche im Sozialpolitischen habe sich der demokratische Sozialismus jedoch noch nicht seines liberalen Erbgutes auf kulturpolitischem Gebiet entledigt. Nell-Breuning trifft hier den Nagel auf den Kopf — sehr zur Enttäuschung mancher Männer rechts und links von seiner katholischen Mitte.

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