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Für soziale Gerechtigkeit

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Der „große alte Mann" der katholischen Sozialwissenschaften wird 90 Jahre alt. Oswald von Nell-Breuning, deutscher Jesuitenpater und Professor, steht für die Lebendigkeit und wirklichkeitsnahe Anwendung der katholischen Sozialprinzipien. Für viele ist sein Name der Inbegriff der Katholischen Soziallehre schlechthin, doch tatsächlich steht Nell-Breuning für eine bestimmte, an der Praxis des gesellschaftlichen Lebens orientierte Entwicklungstendenz dieser Lehre.

Nell-Breuning hat auf die gesellschaftliche Entwicklung nachhaltigen und wegweisenden Einfluß genommen. Sein nüchterner Abstand zu Freunden und Gefolgsleuten erlaubt ihm, souverän zu urteilen - begabt mit geschulter Logik und einem geradezu brutalen Realitätssinn. So ist er wohl von niemandem in der Treffsicherheit der Gewerkschaftskritik übertroffen worden, obwohl er doch „um der Sache willen" dem Weg der Gewerkschaften - speziell der Einheitsgewerkschaften - stets seinen Flankenschutz gab. Ohne Anzeichen der Resignation, ohne sich zu erlauben, pessimistisch in eine graugetönte Gesellschaftskritik zu flüchten, konstruierte der Hochbetagte mit ungebrochener Schaffenskraft aus scharfsinnigen Analysen heraus zukunftsträchtige Modelle der konfliktregelnden Kooperation von Kapital und Arbeit, wie den Entwurf einer umfassenden Unternehmensverfassung.

In seinen über 1500 Veröffentlichungen schrieb er oft gegen den Strich. Oft war er anderer Meinung als die Offiziellen. Er trat früh für das Mit-Bestimmungsrecht der Arbeitnehmer ein, sprach sich gegen die Neugründung christlicher Gewerkschaften aus. Dutzende von Beispielen politischer Entscheidungen lassen sich aufführen, bei denen Wort und Schrift Neil-Breunings die Richtung bestimmen. Zu erwähnen ist seine Verteidigung des katholischen Prinzips der Subsidiarität gegen eine Verfälschung dieses Prinzips zugunsten eines unsolidarischen Individualismus. Die deutschen Gewerkschaften bewahrte er durch eine dramatische Intervention vor einem Rückfall in den marxistischen Dogmatismus, und auf die SPD konnte er über das Godesberger Programm theoretischen Einfluß nehmen. Mit Vehemenz verteidigte er innerhalb der Kirche sein Mitbestimmungskonzept von Kapital und Arbeit als gleichgewichtige Faktoren gegen jene Theoretiker und Interessengruppen, die nach wie vor den Kapitaleigentümern und ihren Beauftragten Vorrechte sichern wollen. Auf der Würzburger Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland wurde nach heftigen Diskussionen jener von ihm erarbeitete Text verabschiedet, in dem in ergreifender Weise ein Schuldbekenntnis der Kirche gegenüber der Arbeiterschaft abgelegt wird.

Nell-Breuning verfügt über einen reichen Erfahrungsschatz. Maßgeblich war er an dem bedeutsamen päpstlichen Rundschreiben „Qua-dragesimo Anno" beteiligt. Diese 1931 veröffentlichte Sozialenzyklika versagte dem wirtschaftlichen Wettbewerb den Rang eines übergeordneten Ordnungsprinzips und beschrieb ihn als ein sinnvoll einzusetzendes untergeordnetes Ordnungsinstrument.

Eines ist sicher: die anläßlich seines Geburtstages demonstrierte Bewunderung, die ihm von allen Seiten einträchtig zuteilwerdende Würdigung, das ihm reichlich gespendete Lob werden nicht darüber hinwegtäuschen können, daß Nell-Breuning nie ein bequemer Berater war. Staatlichen, gesellschaftlichen und kirchlichen Autoritäten redete er nicht nach dem Munde. Konsequent stritt er für das als besser Erkannte. Mit den Gaben der Unterscheidung der Geister ausgestattet, hat er die Entwicklung und Anwendung der Katholischen Soziallehre in hervorragender Weise zu seinem Lebensprogramm gemacht.

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