In Ägypten lässt sich schon am Vorabendprogramm des staatlichen Fernsehens ablesen, was sich in dieser Gesellschaft seit der Revolution getan hat. Vergangene Woche wurde ein neues Vorabendformat vorgestellt, das vornehmlich 14- bis 16-Jährige als Zielpublikum hat. Früher gab es an diesem Sendeplatz lebenslustige und unverschleierte Jugendliche zu sehen, die ihren Altersgenossen das Role Model vorgaben. Nun aber zeigt sich eine ganz andere Szenerie: Ein ausschließlich von Männern besuchtes Kaffeehaus, in dem eben diese Männer sitzen und reden: über ein Allah-gefälliges Leben etwa - und wie man die Kinder dazu erzieht. Die Serie zeigt die Phantasien der Muslimbrüder-Partei, die auch heute nach Belieben die Wahlen in Ägypten dominieren würde, weil sie geschickt im Reservoir der ungebildeten Mehrheit der Bevölkerung fischt. Dort reichen schon einfachste Köder, um Wähler anzulocken - Gehorsam gegenüber Gott, Gehorsam gegenüber den Traditionen - und seien sie auch menschenrechtswidrig.
Und dann gibt es die liberalen Kräfte, die den Muslimbruder Mohammed Mursi endgültig vom Präsidentensessel stoßen wollen - und eine Revolution der Revolution fordern.
Aber so einfach ist das nicht. Denn es geht nicht einfach nur um Mursi. Es geht um eine vertrackte Pattsituation zwischen den liberalen und den auf die Scharia fixierten Kräften in Ägypten. Solange sich diese beiden Lager derart feindlich gegenüber stehen, ist es schwer, auch nur ansatzweise einen Staat zu formen, der die Grundrechte aller Ägypterinnen und Ägypter sichert und die Wirtschaft durch verlässliche Rechtsnormen aus dem Sumpf der Korruption und der Willkür herauszieht, in dem sie zu ersticken droht.
Dieser Zustand kann aber nicht erreicht werden, indem man das Militär an die Macht bringt, wie viele Demonstranten es fordern. Das Militär garantiert nur eine bleierne Ruhe, das Ersticken jeder politischen Diskussion. Nach wenigen Monaten werden sich die liberalen wie die Muslimbrüder in der selben Lage wie unter Mubarak wiederfinden: Gewaltsam sediert vor den Fernsehern, aus denen dann die Generäle grinsen.
