Katholik, Sozialdemokrat, Carl-Schmitt-Schüler

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Sein Satz aus 1964: "Der freiheitliche säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des Einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert." hat als "Böckenförde-Diktum" längst Einzug in die Lehrbücher der politischen Theorie gefunden - und darf in keiner Sonntagsrede eines christlichen Politikers oder Kirchenfunktionärs fehlen, der auf die religiösen Grundlagen auch einer säkularen Gesellschaft rekurriert. Dabei hatte Ernst-Wolfgang Böckenförde diese Sätze gar nicht in diesem Sinn gemeint. Vor knapp zehn Jahren offenbarte der deutsche Verfassungsrichter und Rechtsgelehrte ausgerechnet gegenüber der linken taz, er habe damit Katholiken die Skepsis nehmen wollen, sich im säkularisierten, nicht religiösen Staat zu engagieren: "Das war also noch vor 1965, als am Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils die katholische Kirche erstmals die Religionsfreiheit voll anerkannte. In diese Skepsis hinein forderte ich die Katholiken auf, diesen Staat zu akzeptieren und sich in ihn einzubringen, unter anderem mit dem Argument, dass der Staat auf ihre ethische Prägekraft angewiesen ist." Böckenförde, Jahrgang 1930, studierte im Nachkriegsdeutschland Rechtswissenschaften und Geschichte, er wurde der wichtigste Nachkriegsschüler des durch seine NS-Nähe belasteten Staatsrechtlers Carl Schmitt. Er war Rechts(philosophie)-Professor in Heidelberg, Bielefeld und Freiburg und machte sich als Theoretiker sowie Verfechter der Demokratie einen Namen. 1983 bis 1996 war er Mitglied des Deutschen Bundesverfassungsgerichts. Der Sozialdemokrat und Katholik engagierte sich zeitlebens auch in seiner Kirche als Vertreter der Nachkonzils-Generation. In einem großen Interview in der Süddeutschen vom April 2010 identifizierte er die "Kleruskirche" als Ursache für die Missbrauchsaffären, die damals in Deutschland aufpoppten. Böckenfördes Einsichten haben auch neun Jahre später - leider -nichts an Aktualität verloren. Am 24. Februar ist Ernst-Wolfgang Böckenförde 88-jährig verstorben.

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