"Lasst uns Russen sein"

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Problematische Partnerschaft zwischen EU und Russland.

Einen "wohlwollenden Diktator" nennt Ruslan Grinberg von der russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau seinen Präsidenten Wladimir Putin. Und das sei auch gut so, denn "das russische Volk verlangt nach Law and Order". Sorgen bereitet Grinberg eher, dass Putins Wohlwollen abnimmt. Trotzdem sagt Grinberg: "Nun gut, wir haben eine defizitäre Demokratie, aber immerhin eine Demokratie. Gebt uns Zeit, lasst uns Russen sein!"

An den "Verzögerungen und Rückschlägen" im russischen Demokratisierungsprozess gibt der Forum-Alpbach-Gast Grinberg aber auch der eu die Mitschuld: "In meiner Heimat kritisiere ich meine Heimat - solange ich das noch darf", sagt der Wirtschaftswissenschafter augenzwinkernd. Daher nehme er sich auch das Recht heraus, in Tirol die eu zu kritisieren: Ein guter Teil der Probleme in seinem Land sei nämlich durch die Politik der eu entstanden: Europa beharrt auf einer Entstaatlichungspolitik in Russland und übt entsprechenden Druck in diese Richtung aus, kritisiert Grinberg. Das führt dazu, dass sich Russland aus eu-Sicht modernisiere - und dafür bekommt Moskau regelmäßig viel Lob aus Brüssel: "Tatsächlich ist Russland, das den Neoliberalismus teilweise ohne Vorbehalte lebt, heute aber untersozial ausgebildet" - und der Übergang zu sozialer Marktwirtschaft und politischem Pluralismus ist weder "morgen noch übermorgen" realisierbar.

Der in Alpbach diskutierten möglichen strategischen Partnerschaft zwischen eu und Russland gibt Hannes Adomeit vom Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit eine klare Absage: Putin hat mit seiner"strategischen" Entscheidung für eine Westorientierung zu Beginn seiner Amtszeit große Schritte vorwärts unternommen, doch inzwischen hat es für Adomeit mehrere herbe Rückschläge gegeben. Vor allem seit dem Beginn der zweiten Amtszeit Putins sieht Adomeit das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen von wechselseitigen Irritationen gekennzeichnet, die ihren Ursprung in der russischen Innenpolitik haben. Aus diesen aktuellen Gründen ist "eine strategische Zusammenarbeit zwischen Russland und der eu auf nächste Zeit sehr unwahrscheinlich", resümiert Adomeit: "Zu unterschiedlich sind die Zukunftsvorstellungen auf beiden Seiten."

Zankapfel Tschetschenien

Ein Befund, den auch Jacques Rupnik, der Direktor des Zentrums für Internationale Studien und Recherchen in Paris, teilt. So wie für den Russen Grinberg ist auch für den Franzosen Rupnik die eu nicht ohne Schuld an diesen Problemen. Für Rupnik verhindert vor allem die Uneinigkeit Europas in der Bewertung Russlands eine konstruktive Politik. Einerseits verurteilt Europa die russische Politik in Tschetschenien als "unvorstellbare Brutalität"; auf der anderen Seite würde die Situation in der abtrünnigen Kaukasus-Republik verharmlost und als "interne Angelegenheit" abgetan.

Doch "nix is' fix" im eu-Russland-Verhältnis, Veränderungen sind für Rupnik sehr bald, sehr schnell möglich: "Das Verhältnis zu Russland wird mit Angela Merkel und Nicolas Sarkozy anders sein als es mit Gerhard Schröder und Jacques Chirac ist." Ob besser oder schlechter, bleibt fraglich, oder wie es Anatolij Adamishin vom Europainstitut der russischen Akademie der Wissenschaften in Alpbach formuliert hat: "Wie die Welt in zehn Jahren ausschaut, wird maßgeblich davon abhängen, welchen Weg Europa und Russland einschlagen werden. Allerdings haben sich beide noch nicht entschieden, in welche Richtung sie gehen wollen." WM

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