Von der Naturkatastrophe zur Politpleite?

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Die Spezialabteilung Digos der italienischen Polizei, zuständig für den Schutz der demokratischen Ordnung des Landes, leistet in den Tagen vor dem großen G8-Gipfeltreffen in L’Aquila ganze Arbeit. Mindestens 21 Personen wurden in den vergangenen Tagen verhaftet, Hausdurchsuchungen in Turin, Padua, Bologna und Neapel durchgeführt.

So groß ist die Angst vor Demonstrationen gegen den G8-Gipfel in L’Aquila, dass die vom Erdbeben völlig zerstörte Stadt schon zu Beginn der Woche von 20.000 Polizisten und Soldaten besetzt wurde, die auch alle Zufahrtstraßen überwachen. Nichts soll die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten acht Industrienationen stören, wenn sie bis Freitag in den Trümmern von Aquila die Zukunft der Weltwirtschaft besprechen. Dort, wo im April 287 Menschen unter den Trümmern der einstürzenden Häuser starben, sollen die Trümmer der krisengeschüttelten Weltwirtschaft wieder zusammengesetzt werden – so will es der Choreograph der Veranstaltung, Silvio Berlusconi.

Dass die zerstörte Stadt und das Elend seiner Bewohner nun auch noch die Kulisse für die internationale Politik abgeben sollen, stört die Überlebenden des Bebens ebenso wie die wild entschlossenen Demonstranten, die sich über ihre Internetforen organisiert haben. Erstere leben zum großen Teil noch in blauen Zelten, während für die Politiker und ihren Tross eine Kaserne aufwendig zu einer Luxusherberge umgebaut wurde. Auch US-Präsident Obama erhält da keine guten Kritiken: Er hat sich, wenig passend zur Tragik des Ambientes, zu Entspannungszwecken einen Basketballbereich einrichten lassen.

Politische Fragwürdigkeiten

Zu diesen Geschmacksverwerfungen gesellen sich auch Proteste gegen ein um sich greifendes organisatorisches Chaos. Während Staatschef Berlusconi die Wichtigkeit des Treffens für die Weltwirtschaft betont, meutern die Vertreter der diplomatischen Delegationen, die Italiener hätten nicht den geringsten Plan bezüglich der Inhalte des Treffens. Der britische Guardian berichtet gar von Forderungen, Italien den Vorsitz der G8 wegzunehmen.

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel stellt wiederum das Gremium als Ganzes in Frage: Die G8-Treffen seien nicht mehr zeitgemäß, ein wesentlich breiteres Forum sei erwünscht, vor allem wenn es um das Thema Klimaschutz gehe. Der zweite große Schwerpunkt, die Regelung der Finanzmärkte, dürfte ergebnislos bleiben.

Andere wichtige Themen haben es nicht auf die Tagesordnung geschafft – etwa die Welle von Zöllen, Verboten und Handelsbeschränkungen, die seit März dieses Jahres überhand nehmen – mit drastischen Auswirkungen laut Welthandelsorganisation WTO: Aufgrund der Hemmnisse dürfte der Handel der Industriestaaten heuer um 14 Prozent schrumpfen. Doch das zu besprechen, wäre wohl eine zu negative Botschaft für einen Gipfel, dessen Organisator Berlusconi sich offenbar nur ein einziges Ziel für den Gipfel vorgenommen hat: fare una bella figura. Er dürfte es weit verfehlen.

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