Zaungäste hinter dem Draht

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Das geopolitische Pendant zu einem Altherrenclub geht in Form des G8-Gipfels im deutschen Heiligendamm über die Bühne. Key-Player der Weltwirtschaft wie China sind noch nicht voll integriert. Eine Analyse von Michael Laczynski.

Nur 124 Kilometer liegen zwischen Heiligendamm und Parchim. Der Routenplaner der Internet-Suchmaschine Google gibt die Fahrtzeit zwischen dem Schauplatz des diesjährigen G8-Gipfels und der Kreisstadt im Süden von Mecklenburg-Vorpommern mit einer Stunde und 33 Minuten an. Doch die gefühlte Distanz zwischen den beiden Orten könnte dieser Tage größer nicht sein. Denn während sich Heiligendamm auf die Ankunft der Staats- und Regierungschefs von Italien, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Kanada, Japan, USA und Russland vorbereitet, wartet ganz Parchim auf die Chinesen. Genauer gesagt auf den Millionär Pang Yuliang, dessen Logistikfirma LinkGlobal soeben den Flughafen von Parchim um 30 Millionen Euro erworben hat. Helmut Kresch, der Finanzdezernent des Landkreises Parchim, freut sich bereits auf weitere Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe und rechnet mit tausend neuen Jobs in der wirtschaftlich schwer geprüften Region, denn dem Vernehmen nach will LinkGlobal den Flughafen im nordöstlichsten deutschen Bundesland zu einer Logistik-Drehscheibe ausbauen. "Jetzt hat sich für Mecklenburg-Vorpommern ein zusätzliches Tor in die Welt geöffnet", jubelt die lokale Industriekammer.

Altherrenclub G8

Was dies alles mit dem Weltwirtschaftsgipfel der G8 zu tun hat? Auf den ersten Blick rein gar nichts, auf den zweiten sehr viel. Dann stellt sich nämlich die Frage, warum China nur in Parchim einen großen Auftritt hat, nicht aber in Heiligendamm. Mit rationalen Gründen hat dies wenig zu tun, denn im globalen Wirtschaftsgefüge haben Länder wie China oder Indien mehr Gewicht als etwa die G8-Veteranen Kanada und Italien. Die Antwort ist einfach - und wenig schmeichelhaft: Die Gipfeltreffen sind das geopolitische Pendant eines Altherrenclubs, zu dem Frauen auch Jahrzehnte nach dem erfolgreichen Kampf um Gleichberechtigung keinen Zutritt haben, weil die Mitglieder unter sich bleiben und mit dem neumodischen Schnickschnack da draußen nicht behelligt werden möchten. Problematisch wird es nur, wenn die Clubmitglieder Lösungen für weltwirtschaftliche Probleme finden möchten, denn ohne die Mitwirkung der abwesenden Schwergewichte ist die Relevanz des Gremiums - gelinde ausgedrückt - mäßig. Doch glücklicherweise haben die G8 einen eleganten Ausweg aus diesem Dilemma gefunden: Sie konzentrieren sich auf allgemeine Probleme wie Globalisierung, Klimawandel oder Armut in Afrika, für die es ohnehin kaum einfache Lösungen gibt. So kann man es nämlich ruhigen Gewissen bei wolkig formulierten Kommuniqués belassen und kommt nicht in die Verlegenheit, an den eigenen Versprechen gemessen zu werden. Von der ursprünglichen Idee - das Gremium wurde 1975 ins Leben gerufen, um konkrete Auswege aus der Ölkrise zu finden - ist dieser Ansatz meilenweit entfernt. Selbst der deutsche Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt, Mitbegründer des Weltwirtschaftsgipfels (damals waren es noch die G6, Kanada und Russland stießen 1976 bzw. 1998 hinzu), hält das Treffen in seiner jetzigen Form für ein Medien-Event ohne Substanz.

Man mag es kaum für möglich halten, doch selbst diese dünne Suppe ist manchen zu kräftig gewürzt. Der aktuelle Stein des Anstoßes ist der Klimawandel - oder besser gesagt verbindliche Ziele zur Reduktion der Umweltverschmutzung, die die deutschen Gastgeber in die Schlusserklärung von Heiligendamm aufnehmen wollen. Beim Wollen wird es diesmal aller Voraussicht nach auch bleiben, denn die USA lehnen jegliche umweltpolitischen Verpflichtungen strikt ab. Mehr noch: Geht es nach dem Willen von US-Präsident George W. Bush, soll das Dokument eine Passage enthalten, die gleichbedeutend wäre mit dem Ende des Kyoto-Protokolls. Bush wünscht sich ein "neues globales Rahmenwerk", das abseits der Vereinten Nationen konzipiert werden soll, berichteten deutsche Medien.

Wie diese Absicht bei Bundeskanzlerin Angela Merkel ankommt, kann man sich nur annähernd vorstellen. Die Erwartungen der deutschen Bevölkerung hinsichtlich des Gipfels sind hingegen demoskopisch erfasst: Nur ein Viertel der vom Forsa-Institut befragten Bundesbürger setzt auf die Einigungskraft der Politiker, 73 Prozent glauben hingegen nicht an einen Durchbruch in der Klimapolitik.

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Währenddessen kochen die anderen Teilnehmer ihre eigenen Süppchen: Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy wünscht sich eine Diskussion über Wechselkurse - was im offiziellen Programm nicht vorgesehen ist. Diese Tatsache scheint den energischen Franzosen nicht weiter zu stören, er will trotzdem über Währungen reden. Ein möglicher Gesprächspartner wäre der italienische Kollege Romano Prodi, den das Thema offensichtlich auch brennend interessiert - kein Wunder, leidet doch die italienische Exportwirtschaft ganz besonders unter dem starken Euro. Dem kanadischen Premier Stephen Harper dürfte die Verbesserung der bilateralen Beziehungen zu den USA das wichtigste Anliegen sein. Der alte G8-Haudegen Tony Blair - es ist sein elfter und letzter Gipfel - wird vermutlich auf Afrika zu sprechen kommen. Und was die Herzensanliegen von Japans Shinzo Abe sind, ist in Mitteleuropa nicht näher bekannt.

Den Gipfel-Sherpas, also den hochrangigen Beamten, die diese divergierenden Interessen verzweifelt unter einen Hut zu bringen versuchen, gebührt höchster Respekt für ihren heroischen, zum Scheitern verurteilten Einsatz. Ein Trost bleibt ihnen: So unterschiedlich die Marschrichtungen ihrer Schäfchen sind, verlaufen können sie sich in der norddeutschen Landschaft nicht. Denn sie werden von einem zwölf Kilometer langen, mit Kameras und Bewegungsmeldern ausgestatteten Zaun zusammengehalten.

Der Autor leitet das Ressort International & Osteuropa beim "WirtschaftsBlatt".

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