Argentinisches Experiment

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Die Estancia Santa Catalina bei Córdoba wurde von der Unesco ins Weltkulturerbe aufgenommen. Beeindruckendes Zeugnis vom Einsatz der Jesuiten im Argentinien des 16. bis 18. Jahrhunderts.

Santa Catalina ist eine von ehemals sieben riesigen Estancias - Grossgrundbesitzen - der Jesuiten, die nicht nur wirtschaftliche Macht, sondern auch bedeutende Missionszentren in der damaligen jesuitischen "Provincia de Paraguay" waren. Ein - so scheint es - vergessenes Phänomen, da das Wirken der Jesuiten in Neuspanien hauptsächlich mit dem so genannten "Heiligen Experiment" auf dem Gebiet der Guaraní-Indianer assoziiert wird.

Einsatz für die Indios

Der Weg nach Santa Catalina ist gar nicht leicht zu finden. Eineinhalb Autostunden fährt man von der nordargentinischen Millionenstadt Córdoba auf kurvigen Straßen, zuletzt auf einem Feldweg voller Schlaglöcher, Richtung Jesús María. Links und rechts der Straße Buschland und Felder; wenige kleine Häuser säumen den Weg. Plötzlich ein großer offener Platz - und in seiner Mitte eine strahlend weiße Kirche. Santa Catalina besteht aus der weiß getünchten Kirche, dem eigentlichen Klosterbau mit drei Innenhöfen und zahlreichen Nebengebäuden.

Heute steht die große Anlage verlassen da. Früher war die Estancia unglaubliche 168.000 Hektar groß, das entspricht etwa viermal der Fläche Wiens, und ein höchst lebendiges geistiges und wirtschaftliches Zentrum mit einer interessanten Geschichte.

"1572 - 32 Jahre nach der Gründung des Ordens und 16 Jahre nach dem Tod von Ignatius von Loyola - kamen die ersten Jesuiten nach Neuspanien, ins heutige Südamerika", erzählt Fernando Diaz, einer der derzeitigen Besitzer von Santa Catalina, während er durch die Anlage führt. "Die ersten Jesuiten gingen nach Mexiko, Brasilien und Peru. Sie widmeten sich der Missionierung und der Erziehung und gründeten zahlreiche Schulen und in Lima und Quito Universitäten.

Von Lima aus kamen sie dann in unsere Gegend - und gründeten mit der Erlaubnis des Papstes die Universität von Córdoba. Die Gründung der Estancias steht damit in direktem Zusammenhang, denn die spanischen Großgrundbesitzer beuteten damals die Indios aus - auch wenn zahlreiche Päpste sie ausdrücklich als richtige Menschen' bezeichnet hatten. Die Jesuiten hingegen behandelten die Indios gut. Das war der Hauptgrund, weshalb die Spanier den Jesuiten finanzielle Unterstützung für die Schulen und die Universität in Córdoba verweigerten. Die Jesuiten gründeten daher eigene Estancias, und machten sich so von spanischstämmigen Spendern unabhängig", erklärt der Pensionist, der mit seiner Familie in Córdoba wohnt und Ferien und Wochenenden in Santa Catalina verbringt.

Ordensgründer Ignatius von Loyola hatte bestimmt, dass der Unterricht in allen Jesuitenkollegien für die Schüler und Studenten kostenlos sein sollte und dass die Kollegien so genannte "Fundaciones" haben mussten, "damit sich Professoren, Lehrer und Schüler sorgenfrei der Lehre und dem Studium widmen können".

Anders als die meisten anderen Orden studierten die Jesuiten die Mentalität, Sprache und Religion der Indios. Innerhalb kürzester Zeit gelangen den gut ausgebildeten Patres große Erfolge in Missions- und Erziehungsarbeit. In Geschichtsbücher und in die Erinnerung ist dabei ihr nicht unumstrittenes "Heiliges Experiment", die so genannten "Reduktionen", die hauptsächlich entlang der Außengrenzen Brasiliens lagen, eingegangen.

Bei den "Reduktionen", die eigene Städte der Indios mit einem hohen Selbstverwaltungsgrad waren, standen der Schutz der einheimischen Bevölkerung vor brasilianischen Verschleppungs-Trupps, die handwerkliche Ausbildung und die Christianisierung im Vordergrund. Das Konzept der jesuitischen Estancias, die alle in der argentinischen Provinz Córdoba lagen, war anders. "Bei ihnen ging es primär um den wirtschaftlichen Gewinn dieser riesigen Gutsbetriebe", sagt Fernando Diaz, "dieses Geld sollte den kostenlosen Zugang zu Schulen und Universitäten sichern". In der Zeit zwischen ihrer Ankunft auf dem neu entdeckten Kontinent 1572 und ihrer Vertreibung im Jahr 1767 gründeten und führten die Jesuiten sieben Estancias.

"Christliche" Sklavenhaltung

Die Estancias waren wichtige lokale Missionszentren - und bedeutende Wirtschaftsfaktoren. Die Organisation war - dem militärischen Charakter des Ordens entsprechend - streng und hierarchisch gegliedert: Ein Ordensbruder war für die spirituelle Leitung des Klosters und aller Mitarbeiter verantwortlich, ein weiterer für die wirtschaftliche Leitung. Letzterem unterstanden mehrere Dutzend Indios, die in den verschiedenen Werkstätten der Estancia zu Schnitzern, Malern und Kunstschmieden ausgebildet wurden. Auf der untersten Stufe standen die Sklaven aus Afrika, die in der Landwirtschaft und in der eigenen Textilindustrie arbeiteten. Sie lebten in Nebengebäuden, den so genannten "Rancherías" und wurden von den Jesuiten relativ besser behandelt als von anderen Herren. Ihre Rechte und Ansprüche waren genau festgehalten, und die Jesuiten respektierten ihr soziales Gefüge.

"Die Jesuiten waren damals die größte sklavenbesitzende Institution Lateinamerikas, wenn man das so sagen kann", sagt Elita Caselia-Diaz, ein weiteres Mitglied der weit verzweigten Familie Diaz und Mitbesitzerin von Santa Catalina, beim Rundgang durch die "Rancherías". "Der Anteil der Schwarzen in der argentinischen Provinz Cordoba betrug damals 30 Prozent - und alle waren christianisiert. Drei Mal pro Woche wurde ihnen der Katechismus beigebracht. Die Jesuiten sorgten für gutes Essen und ordentliche Kleidung, besonders Schwangere und Mütter von kleinen Kindern wurden gut behandelt. Aber das Konzept der Sklaverei wurde von den Jesuiten nie in Frage gestellt", sagt Elita Caselia-Diaz, "dann wäre das Konzept der Estancias zusammengebrochen".

Die Vertreibung der Jesuiten

Im Jahr 1767 arbeiteten auf Santa Catalina 500 afrikanische Sklaven. In den Büchern ist außerdem die Zahl von 5000 Mulis, 7000 Kühen und 8000 Schafen festgehalten. Die Zucht von Mulis als Transportmittel war der einträglichste Wirtschaftsfaktor der Estancias. Auch die riesigen landwirtschaftlichen Flächen und die Textilmühlen warfen große Gewinne ab.

Die jesuitischen Estancias waren damals darüber hinaus wichtige Kulturstätten, wo das Kunsthandwerk gelehrt und gepflegt wurde. Santa Catalina erlangte auch als Sterbeort des berühmten italienischen Komponisten Domenico Cipuli Berühmtheit, der ein Jahr lang hier lebte und arbeite.

168 Jahre nach der Ankunft der ersten Jesuiten im heutigen Argentinien wurden die Patres der "Gesellschaft Jesu" im Morgengrauen des 12. Juli 1767 auf Anweisung des spanischen Königs Karls III. aus Santa Catalina und allen anderen jesuitischen Einrichtungen des Landes gewaltsam vertrieben. Insgesamt wurden allein aus der argentinischen Provinz Córdoba 131 Patres aus Österreich, Italien, Belgien, Deutschland, Ungarn, Frankreich und England zwangsausgesiedelt und als Gefangene nach Europa verschifft.

Heute - 247 Jahre später - gibt es zahlreiche Theorien über die wahren Hintergründe dieses tiefen Einschnittes in der Geschichte der Gesellschaft Jesu. Sicher ist, dass sich die Jesuiten in den spanischen Kolonien mit ihrer Art der "Conquista espiritual", der spirituellen Eroberung des neuen Kontinents, auch unter der lokalen hohen Geistlichkeit und unter den anderen Orden viele Feinde gemacht hatten. Und in Europa erregte die geistige Unabhängigkeit, die Internationalität und die wirtschaftliche Potenz des direkt dem Papst unterstellten Jesuitenordens immer stärkere Feindseligkeit. Der Orden wurde vom Papst verboten, das Verbot unter seinem Nachfolger wieder aufgehoben.

Weltkulturerbe

Nach der Vertreibung der Jesuiten wurden die Estancias von korrupten Verwaltern regelrecht ausgebeutet und ein paar Jahre später zwangsversteigert. Santa Catalina wurde damals von Francisco Antonio Diaz gekauft - die Estancia ist heute die einzige, die sich in privatem Familienbesitz befindet. "Unser Vorfahre hat Santa Catalina für viel Geld gekauft, die Kirche ausgeschmückt und das Kloster für die Familie umgebaut", sagt Elita Caselia-Diaz stolz. "Meine Töchter haben hier geheiratet, meine Enkelkinder wurden hier getauft. Der Staat unterstützt uns mit keinem Groschen. Es gibt aber hohe Auflagen in der historischen Erhaltung, die vom Staat kontrolliert werden. Wir müssen alles selbst finanzieren. Um das zu tun, haben wir einen Großteil des Landes verkauft, mein Mann und die anderen Familienmitglieder arbeiten in Córdoba und Buenos Aires und stecken ihr Geld in diese alten Gemäuer. Es ist reine Liebhaberei."

1836 kamen die Jesuiten ins heutige Argentinien zurück. Heute noch ist die renommierte "Universidad Catolica" in Córdoba eine der wichtigsten Institutionen der Jesuiten im Land." Sie wurde im Jahr 2000 von der Unesco ebenso wie Santa Catalina zum Weltkulturerbe ernannt. Die jesuitischen Gründungen, die Universität in Córdoba und die sieben Estancias, haben in der Provinz ihre Spuren hinterlassen: Córdoba, die Universitätsstadt, wurde das wirtschaftliche Zentrum der Provinz und der wichtigste Handelspunkt zwischen den Anden und dem Hafen in Buenos Aires. Rund um die Estancias Jesús María und Alta Gracia wurden später Städte gegründet, die heute wichtige regionale Zentren sind.

Andere sind verschwunden, und die Estancia La Coroya erlangte als umfunktionierte Waffenfabrik für den Unabhängigkeitskampf fragwürdigen Ruhm. In die Gebiete rund um die heute noch bestehenden Estancias sind die Jesuiten nie zurückgekehrt.

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