6651125-1959_01_13.jpg
Digital In Arbeit

Geheime Macht über die Seelen

Werbung
Werbung
Werbung

Der Einsatz der Tiefenpsychologie im Raum der Propaganda war fällig. Wie nicht anders zu erwarten war, wurde er in Amerika gestartet und, wie ebenfalls nicht anders zu erwarten war, von einem Europäer, genauer gesagt von einem österreichischen, ja Wiener Tiefenpsychologen mit Namen Ernest Dichter. Jedem Einsichtigen war es klar, daß die genialen Propagandisten immer schon mit ihnen selbst unbewußten, tiefenpsychologischen Mitteln arbeiteten. Auch besteht kein Zweifel, daß geniale Propagandaleute, wie Hitler, Lenin oder Mussolini, sich instinktiver an tiefer liegende affektive Strukturen der Psyche wendeten, ohne sich dies im einzelnen bewußt zu werden. Es kann aber kein Zweifel bestehen, daß, auf die Dauer gesehen, das instinktive Raffinement durch ein bewußt rationales ersetzt zu werden vermag. Der Schlüssel hierfür liegt zweifellos in der Tiefenpsychologie. Nunmehr erleben wir es, daß die Propaganda in den USA, wird sie nun für die Wirtschaft oder für die Politik eingesetzt, sich tiefenpsychologischer Methoden bedient. Vance Packard zeigt uns, in welchem Ausmaß dies bisher bereits geschehen ist. Wenn die gegebenen Methoden auch vielfach noch unvollkommen sind, so besteht doch kaum ein Zweifel, daß hier eine neue anonyme Macht auftritt, die mit der Bedeutung der Atombombe durchaus verglichen werden kann. Wenn auch still und leise, so wächst doch eine Macht heran, unaufhaltsam in ihrer Wirkung, die für die Weiterentwicklung der Menschheit entscheidend sein wird. Wenn Kenneth Boulding von der Universität ih Michigan meint, daß „eine Welt der unsichtbaren Diktatur denkbar sei, die sich noch der demokratischen Regierungsformen bedient”, so ist dies keineswegs übertrieben. Mit dem Einbruch der Tiefenpsychologie in den Propagandaraum brach die Magie in die Gesellschaft ein.

Schon im psychotherapeutischen Sprechzimmer erhält, über lange Strecken hinweg, der Analytiker eine fast unbeschränkte Macht über den Analysanden. Und hier beginnt ein moralisches Problem von ungeheurer Tragweite, das von den Moraltheologen noch nicht im entferntesten erarbeitet wurde, was auch schwer möglich ist, da sie im allgemeinen wenig von Tiefenpsychologie verstehen. Und wie etwa der Analytiker seine Macht mißbrauchen kann und die potentielle Freiheit seines Analysanden übertölpelt und den Menschen zu einer Marionette zu erniedrigen vermag, ebenso vermag er dies auch in der Politik. Es besteht kein Zweifel, daß sie auch hierzu mißbraucht werden kann.

Allerdings, und hier läßt Packard vollständig aus, gibt es auch die positive Möglichkeit, wenn an die Stelle der Uebertölpelung des personalen Kernes der Persönlichkeit auch ein Versuch der politischen Psychologie tritt, die Sozietät von den Fehlhaltungen zu befreien, um gleichsam eine kollektive Psychotherapie zu betreiben. Es ist dies nicht einfach psychische Hygiene (die riecht zu sehr nach Karbol), sondern eine echte Hilfeleistung.

xDie’ kollektive Tiefenpsychologie hatte als vornehmes Ziel die Analyse, die Auflösung von kollektiven Fixierungen. Es ist schade, daß auch die bedeutsame Möglichkeit der Anwendung der Tiefenpsychologie im Kollektiv zunächst in seiner negativen Variante realisiert wurde. Es scheint hier einer kollektiven Tiefenpsychologie ähnlich zu gehen wie den Atomwissenschaften. Die erste Anwendung dieser Kraft war unmoralisch. Europa scheint in der Tiefenpsychologie wieder die Führung übernehmen zu müssen, damit sie in ihrem Maß bleibt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung