"Kritische Vernunft" statt "Steinzeitmoral"

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Johannes Hubers Sammelband über die "Chancen der Biomedizin" entpuppt sich als publizistische Enttäuschung.

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Johannes Hubers Sammelband über die "Chancen der Biomedizin" entpuppt sich als publizistische Enttäuschung.

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Mit vielem hat man vor der Lektüre dieses Buches gerechnet: mit provokanten Thesen (angesichts des Titels "Abschied von der Steinzeitmoral"), mit neuen Erkenntnissen (angesichts des Untertitels "Chancen der Biomedizin") und schließlich mit unbequemen interdisziplinären Querverbindungen (angesichts des Autors Johannes Huber - Theologe und Reproduktionsmediziner). Geworden ist es vor allem eines: eine publizistische Enttäuschung.

Die Desillusionierung der Leserschaft beginnt gleich zu Beginn: Während der bekannte "Hormonpapst" und langjährige Sekretär Kardinal Königs auf dem Cover als vermeintlicher Verfasser einer Monographie firmiert, entpuppt er sich wenige Seiten später als Herausgeber eines Sammelbands. Nur im Eingangskapitel nähert sich Huber selbst der Frage "Verändert die Medizin den Menschen?"

Welche anthropologischen Umbrüche gehen nun mit den medizinischen Umwälzungen einher? Wo und wie verlaufen die im Vorwort angekündigten Lösungswege aus den Problemfeldern Stammzellenforschung, Keimbahntherapie und Klonen? Und was ist unter jener "Steinzeitmoral" zu verstehen, derer wir uns als aufgeklärte, demokratisch gesinnte Menschen endlich entledigen sollten?

Nach Antworten tastend, verirrt sich der Leser alsbald im Labyrinth kulturgeschichtlicher Abhandlungen, kirchenkritischer Pamphlete und (teils veralteter) Berichte über den technologischen Status Quo. So schwer es ist, angesichts laufender Debatten up to date zu sein: Wenn der Mainzer Zoologe Rainer Koltermann in seinem Beitrag zum Problem des Klonens einen Text aus dem Jahr 1997 als "neu" und die Europäische Union als "EG" bezeichnet, wenn er zwar die mediale Performance von Klonschaf "Dolly", nicht aber die bedenklichen Klonierungs-Pläne Severino Antinoris erwähnt, sind Zweifel an der Relevanz des Beitrags angebracht.

Eines sind die sechs Autoren der zehn gesammelten Texte jedoch zweifelsfrei: mutig. Es zeugt von (Wage-) Mut, sich wie Johannes Huber als Leiter der Bioethik-Kommission vorweg zu exponieren. So peilt er jenen Zeitpunkt als Beginn des menschlichen Lebens an, "in dem der Frühembryo Hirnstrukturen ausbildet, die Voraussetzungen für Schmerzempfindung und Individualität sind". Wie es möglich sein soll, diesen im Grunde willkürlich gesetzten "neuralen Rubikon" in der Debatte als "sakrosankt" abzusichern (wie es Huber fordert), bleibt offen. Argumentativen Wagemut legt auch der Philosoph Michael Chiotellis an den Tag. Während die Vertreter der "Steinzeitmoral" jede Abtreibung im Frühstadium als "Mord" bezeichnen würden, sei nun "kritische Vernunft" und eine "humane Moral" gefragt. So sei es "sinnvoll, durch vorgeburtliche Diagnostik unheilbare Schädigungen festzustellen und vor der Zeitgrenze des neuralen Rubikons abzutreiben". Zugleich müsse aber geschädigtes Leben von der Gesellschaft voll mitgetragen werden. Wie diese moralische Forderung jedoch unter den genannten Voraussetzungen gestellt werden kann, ist fraglich.

Was ist nun unter jener "Steinzeitmoral" zu verstehen, von der es sich zu verabschieden gilt? Es ist jene Haltung, die auf das angeblich "natürliche" Recht des Stärkeren pocht; es ist die egozentrische Moral des Herrenmenschen und der patriarchalen Ordnung. Eine so verstandene sozialdarwinistische Moral gilt es tatsächlich abzustreifen. Wenn jedoch (katholische) Positionen des Lebensschutzes wie das Abtreibungsverbot zum "Herrschaftsanspruch" über das Leben verkehrt werden, wenn Chiotellis monotheistischen Religionen pauschal vorwirft, nach Art der Steinzeitmoral Andersdenkende "mit Fanatismus und blindem Wahn" zu bekämpfen, spätestens dann erhärtet sich ein Verdacht: dass hier einfach die steinzeitmoralische Keule geschwungen wird - als Totschlagargument gegen missliebige Positionen.

Abschied von der Steinzeitmoral.

Chancen der Biomedizin. Von Johannes Huber (Hg.),Verlag Styria, Graz. 2001, 160 Seiten, geb., öS 197,-/e 14,32

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