ÖVP in der Sackgasse?/ÖVP in der Sackgasse?

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Das Klagelied auf die ÖVP ist in der momentanen Situation keineswegs gerechtfertigt.

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Das Klagelied auf die ÖVP ist in der momentanen Situation keineswegs gerechtfertigt.

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Herbert Kohlmaiers Buch ist der ambitionierte Versuch eines unendlich engagierten Christdemokraten und Christen. Das Buch ist sehr stark vom persönlichen Erleben gekennzeichnet. Das Erleben in der Kirche verschweigt er, das in der Partei thematisiert er, wenn er beispielsweise schreibt, daß er selbst lange genug in solchen Gremien war und dort auch "mitgesündigt" hat.

Sehr interessant ist die vom Autor gestellte Frage, in welcher Weise es einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Christdemokraten, sprich Volkspartei, und der Situation der Kirche in Österreich gibt. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob diese von Kohlmaier behauptete Parallelität zwischen den beiden Institutionen vorhanden ist, weil doch von verschiedenen Lebensbereichen und Fragestellungen die Rede ist.

Herbert Kohlmaier macht eine exzellente Analyse der Situation, obwohl ich nicht mit allem einverstanden bin, was er sagt. So etwa bei der Analyse der Volkspartei, wenn er behauptet, die ÖVP beschäftige sich mit harmlosen Themen wie Familienpolitik. Diese Ansicht teile ich ganz sicher nicht, weil Familienpolitik ist nicht harmlos, sondern betrifft die eigentliche Lebensfrage einer Gesellschaft.

Richtig ist in der Parteianalyse, daß es zu kurz gegriffen wäre, wie es die ÖVP manchmal gemacht hat, nur Personen auszutauschen oder sich auschließlich mit Organisationsdiskussionen zu beschäftigen, weil das einfach nicht das Thema ist. Was das Buch sehr interessant macht und worüber man sicher nachdenken muß, ist der Zusammenhang den Kohlmaier sieht, wenn er von der Rolle des Staates, von der Aufgabenstellung des Staates und der daraus resultierenden Rolle der Parteien schreibt. Wenn man die Rolle des Staates neu definiert, nämlich nicht als Servicestaat und nicht als umfassenden Versorgungsstaat - und beide Male hat Kohlmaier recht - ist eine andere Definition von Partei nötig, ganz im Sinne von Repolitisierung der Parteien. Dieser Aufgabe muß sich aber jede Partei eigentlich stellen.

Drei wichtige Zukunftsaspekte für Christdemokraten finden sich in Kohlmaiers Ansatz: Da ist einmal sein Leistungsbegriff, den er in einer modernen Gesellschaft sieht. Da ist zweitens dieses latente Spannungsverhältnis - das er gut beschreibt - zwischen Freiheit und Ordnung. Und da ist Kohlmaiers Begriff der Zuwendung, der eine inhaltliche Definition seiner Vision einer Sozialpolitik vorwegnimmt. Nämlich dort zu helfen, wo es notwendig ist, und das meint er nicht nur materiell. Daher kommt der Autor dann in seinem Gedankengang recht logisch zur Bedeutung der Bürgergesellschaft, weil damit ja auch Zuwendung und Menschlichkeit verbunden ist.

Was Kohlmaiers Ausführungen zur Wahlrechtsreform betrifft, darüber kann man trefflich streiten. Seinem Grundgedanken über die persönliche Verantwortung der Mandatare ist zuzustimmen, nur das alleine kann es nicht sein. Es gibt auch noch übergeordnete Fragen, und da ist es fraglich, ob Wahlrechtsreformdebatten dieses Problem der Politik lösen können. Sicher wird in der nächsten Legislaturperiode eine Debatte über das Wahlrecht stattfinden. Ob damit jene Fragestellungen gelöst werden, die Kohlmaier thematisiert, halte ich jedoch für zu kurz gegriffen.

Grundsätzlich ist momentan eine "Elegie auf Schwarz" ja nicht berechtigt, weil gerade jetzt ein Aufschwung in der ÖVP feststellbar ist, und wir mit Optimismus und Selbstbewußtsein in die nächsten politischen Auseinandersetzungen gehen.

Meinem Freund Kohlmaier würde ich so ins Stammbuch schreiben: Ein unheimlich bemühter und vom Ansatz hochinteressanter Versuch, aber die perfekte Antwort läßt das Buch vermissen. Kohlmaiers Elegie gibt Richtungen, Ideen vor. Es spricht, das ist das Wichtigste, von Repolitisierung im Sinne von Wertorientierung, die eine Gesellschaft einfach braucht; Pflöcke, die einzuschlagen sind. Und hier stimme ich einer Parallelität zwischen den Aufgaben von Politik und Kirche zu.

Der Autor ist Landwirtschaftsminister und Bundesparteiobmannstellvertreter der ÖVP.

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