Vom Beispiel der "zu Wenigen", aber "Gerechten"

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Sie ist längst in einem Alter, in dem Zuschreibungen wie "Doyenne der Historikerzunft" oder "Grande Dame der Zeitgeschichte" den Laudatoren aus der Feder oder den zugehörigen Reden rinnen. Und doch decken diese Attribute nur einen Teil der Lebensleistungen von Erika Weinzierl ab, die am 6. Juni ihren 80er begeht.

Vor 60 Jahren gehörte die Studentin Erika Fischer mit Kommilitonen wie Hans Tuppy oder Kurt Schubert zu jenem Kreis rund um die Priester Karl Strobl und Otto Mauer, der die Katholische Hochschulgemeinde Wien aufbaute. Sie studierte bis 1948 Geschichte und Kunstgeschichte und heiratete ein Jahr später den Experimentalphysiker Peter Weinzierl ( 1996). Danach arbeitete sie als Archivarin im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv, wo sie das historische "Handwerk" von Grund auf lernte: "Damals habe ich faktisch aus jedem Jahrhundert einen großen Aufsatz geschrieben - und mich dann systematisch bis ins 20. Jahrhundert vorgearbeitet", hat sie einmal erzählt.

Bei der Zeitgeschichte blieb Weinzierl dann: Sie ging 1964 nach Salzburg ans Institut für kirchliche Zeitgeschichtsforschung und erhielt drei Jahre später eine erste Universitätsprofessur in Salzburg. 1979 folgte sie dem verstorbenen Zeithistoriker Ludwig Jedlicka als Zeitgeschichte-Ordinaria an die Universität Wien, wo sie 1995 emeritiert wurde.

Rund ums II. Vatikanum stand Weinzierl für einen "kritischen Katholizismus". Sie unterstütze ihren Freund Friedrich Heer bei seinem Bemühen, den christlichen Antijudaismus bis in die Gegenwart hinein offenzulegen. Bei der Wiener Diözesansynode 1969/71 gehörte sie zu den Autorinnen jener Erklärung, welche eine der klarsten Verurteilungen des Antisemitismus im kirchlichen Bereich darstellt.

Der Titel ihres 1969 erstmals erschienenes Buches "Zu wenig Gerechte" über den österreichischen Widerstand gegen das ns-Regime war auch Motto ihres historisch-politischen Engagements: An die Versäumnisse zu erinnern, ans Schweigen von zu vielen gegen die Barbarei, aber das Beispiel der "zu Wenigen", aber doch "Gerechten" hochzuhalten.

Aus diesem Impetus heraus warnte Weinzierl immer wieder vor dem Aufkeimen ewig gestrigen Gedankenguts, sie trat öffentlich gegen die Ideenwelt eines Jörg Haider auf und 1995 aus der övp, der sie jahrzehntelang angehört hatte, und an deren Parteiprogramm sie einst mitgearbeitet hatte, aus, weil Parteiobmann Schüssel schon damals eine Koalition mit der fpö andachte. Letztes Jahr unterstützte sie die Kandidatur von Heinz Fischer bei der Bundespräsidentenwahl.

Österreichs Zeitgeschichtsforschung, die kirchliche Geschichtsschreibung der letzten 100 Jahre und das Erinnern an den Widerstand ist ohne die Stimme Erika Weinzierls nicht denkbar. Aber vor allem als Mahnerin wider das Vergessen und Verdrängen ist sie zu einem politischen Gewissen des Landes geworden. ofri

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