Im Gespräch verausgabt

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Karl Strobls Hinterlassenschaft.

Am 20. Jänner wäre Karl Strobl hundert Jahre alt geworden. Der Studenten- und Akademikerseelsorger, Gründer der Katholischen Hochschuljugend und Verwalter des Erbes seines Freundes Otto Mauer war einer der Pioniere der Kirche nach dem Krieg. Wie kann seine Bedeutung vergegenwärtigt werden? Dafür gibt es gängige Methoden: Man studiert das Werk, interviewt die Nachfolger, misst den Fortschritt, den ein Leben bewirkt hat. Wenig davon passt für Karl Strobl. Seine Realpräsenz ereignete sich im Gespräch; er lebt in den Sätzen fort, die seine Gesprächspartner in Erinnerung haben. Sein einziges Buch, die Notizen aus dem Nachlass "Erfahrungen und Versuche", sind nichts anderes: Geschätzte zweieinhalbtausend kurze Textstücke, jedes eine Frage, eine Behauptung, ein Impuls zum nächsten Gespräch.

Prinzip Gemeinde

Karl Strobl hat sich im Gespräch verausgabt. Der Sohn niederösterreichischer Weinbauern aus Poysdorf machte die Volksschule in der Monarchie, Knabenseminar und Priesterweihe in der Ersten Republik, Kaplansjahre im Ständestaat und Hochschulseelsorge im Dritten Reich: Die zeitgeschichtliche Hochschaubahn einer Generation, die ihn reif werden ließ, eine neue Art christlicher Gemeinde zu gründen und zu führen: die Katholische Hochschulgemeinde (KHG) Wien, der bald auch solche Gemeinden in den anderen österreichischen Universitätsstädten folgten.

Der Anfang war schon im Krieg gelungen. Die erste Studentengemeinde sammelte Strobl in der Krypta der Wiener Peterskirche. "Von ihm", erinnert sich Erika Weinzierl, "hörte ich zum ersten Mal die Namen Kafka, Trakl, Ebner und Haecker … In Haeckers, Vergil, Vater des Abendlandes' habe ich jedenfalls während der Luftangriffe … im Spätherbst 1944 gelesen." Weinzierl gehörte zu jener Gruppe um Kurt Schubert, die 1945 die Wiedereröffnung der Wiener Universität bewerkstelligte.

Der Gesprächsraum der Strobl'schen KHG prägte von da an mehrere Generationen von Akademikern und Akademikerinnen. Aus ihm gingen bedeutende Wissenschaftler und Politiker hervor, die hier nur deshalb nicht aufgezählt werden, weil für die Vollständigkeit der Liste nicht garantiert werden kann. Strobls Freund und Streitpartner Ferdinand Klostermann widmete seine Studie "Prinzip Gemeinde" der Wiener KHG (vgl. Seite 25 dieser Furche). Krieg und Nazipropaganda hatten Strobl die herrschende Sprachverwirrung bewusst gemacht.

"Allzu sehr und allzu lang stand das Wort, das gesprochene und das geschriebene, im Dienst der Lüge", schreibt er 1946 im ersten Heft der Zeitschrift Wort und Wahrheit. Deshalb ist "kompromisslose Wahrhaftigkeit" ein zentrales Stichwort im "Inneren Statut" der Katholischen Hochschuljugend. Strobl forderte auch für die Kirche eine Lebensform, die er Agon nennt: Versammlung, redlicher Wettstreit, offene Auseinandersetzung; und er konstatiert den "Mangel einer Konflikttheorie" als folgenschweren Schaden für die Kirche.

Bauer und Intellektueller

Auf der Suche nach Deutungen fallen die ersten Seiten seiner "Notizen aus dem Nachlass" auf. Der Hochschulseelsorger Strobl hat seine bäuerliche Herkunft nie ausgeblendet. "Die Sonnenauf- und -untergänge im Weinviertel" notiert er, mit den Stichworten "Bach", "Gänse hüten, "Äpfel im Garten" weckt er Erinnerungen, und Wien versteht er "als Mitte der Landschaft".

Das muss Folgen gehabt haben. Vielleicht hat die Wortkargheit bäuerlichen Lebens, ins Intellektuelle gewendet, Strobls Sprechstil geprägt. "Seine ständige Unzufriedenheit, seine Suche nach dem Wort, unter der er Zeit seines Lebens leidet," weiß Erhard Busek, "haben vielen von uns die existenzielle Bedeutung der Sprache in der Verkündigung und der Verständigung vermittelt." So redete, so predigte er: Seine Sache war nicht der große Bogen, sondern die mehrfache Annäherung, die offene These, den Hörern hingeworfen als Provokation zum Fertigdenken. Die Nachhaltigkeit seiner Worte ergab sich daraus, dass er den anderen zutraute, fertig zu denken, was er angestoßen hatte.

Es waren Priesterpersönlichkeiten, die vor dem Krieg nicht zuletzt durch die katholische Jugendbewegung "Bund Neuland" geprägt waren, und die - nach 1945 - ihrerseits den katholischen Aufbruch zum II. Vatikanum und darüber hinaus prägten: Karl Strobl, legendärer Wiener Hochschul- und Akademikerseelsorger, der prominente Laien von Kurt Schubert, Erika Weinzierl, Hans Tuppy und Friedrich Heer bis zu Erhard Busek und Franz Fischler um sich geschart hatte, würde dieser Tage hundert Jahre alt. Kurz vor Weihnachten jährte sich zum 25. Mal der Todestag seines Freundes und Weggefährten Ferdinand Klostermann, der als Konzilsberater zum "Vater" der Gemeindetheologie wurde. Am 6. Jänner war auch der 30. Todestag von Arnold Dolezal, dessen "stilles", aber beeindruckendes Engagement noch der Entdeckung harrt. Das Furche-Dossier erinnert an diese drei Persönlichkeiten, deren Beispiel auch in dürrer Kirchenzeit leuchten kann. Dem vierten in diesem "Bund", Otto Mauer, widmete die Furche schon zum Hunderter im Februar 2007 ein eigenes Dossier. Redaktion: Otto Friedrich

Noch deutlicher wird die bäuerliche Herkunft des Intellektuellen in seiner Weise des subversiven Widerstands. Wer den eigenen festen Boden unter den Füßen hat, braucht nicht zu rebellieren, um gegen Manipulationen resistent zu sein. In diesem Sinn war Strobl wohl nicht "mutig" wie Otto Mauer, er säte im Stillen, bot der Gestapo kaum Angriffspunkte, ließ sich weder von Seminarerziehern noch von Bischöfen beugen. Bischöfe hielt er bei aller Loyalität expressis verbis für nicht besonders wichtig.

"Ich habe nie gemacht, was mir angeschafft wurde", erinnert sich sein langjähriger Mitarbeiter Fritz Wolfram an einen Ausspruch Strobls. Priester, christliche Kirchenmenschen seien "Menschen mit gebrochenem Mut" referiert Strobl den Soziologen August M. Knoll. Er kritisiert mehrfach den Erziehungsstil des Knaben- und des Priesterseminars, der dazu tendiert, persönliche Begabungen zu unterdrücken, so dass sich auch Cha- rismen nicht entfalten können.

Seelsorge im Experiment

So sollte es in der Hochschulgemeinde nicht zugehen. Strobl versuchte sie als intrigenfreien Raum zu gestalten, fragte sich aber zugleich, ob da nicht auch eine Ideologie mitspiele, die für den Lebenskampf draußen nicht fit mache. Überdies "bestand kein Drang, sich nach außen zu profilieren", notierte Strobl selbstkritisch. Daher geschah zwar in der KHG als Teil der Katholischen Aktion die offizielle kirchliche Universitätsseelsorge, aber ihre Wahrnehmbarkeit blieb hinter dem CV zurück, der sich seine Wiederbelebung von den Bischöfen nicht hatte verbieten lassen und in der Politik dominierte. Strobl hatte nicht die Absicht, in die Verhältnisse vor 1938 zurückzukehren. Er hat eine Lebenszeit mit acht Päpsten und fünf Wiener Erzbischöfen durchmessen, den Aufbruch der Jugendbewegung, christlichen Faschismus, atheistische Diktatur und ein revolutionäres Konzil erlebt.

Strobl verarbeitete diese Umwälzungen und entwickelte daraus - einem Satz des Augustinus folgend - seine Theologie des Experiments. Vielleicht war ihm auch da seine bäuerliche Herkunft von Nutzen: Da weiß man wohl, wie zu pflanzen, zu beschneiden, zu ernten ist; aber kein Boden gleicht dem anderen, die Witterung wechselt, erst die Ernte lehrt Erfolg oder Misserfolg. So verstand Strobl seine Seelsorge und seine organisatorischen Initiativen: Er wusste, was zu tun ist, und zugleich, dass er sich wieder und wieder auf Experimente einließ. Seinem wichtigsten Experiment, der KHG, widmete er die Hälfte seines Lebens als Priester.

Er musste aber auch erfahren, dass Experimente misslingen können. Mit der Studentengeneration von 1968 wurde der 60-Jährige nicht mehr fertig. Er erinnert sich an bittere Auseinandersetzungen, "die Formen des Gesprächs … waren erschöpft." Sein Versuch, "Vertrauen als pragmatische Form des Zusammenlebens in der Gemeinde" zu thematisieren, wurde von den Studentenführern nicht mehr akzeptiert, die sich dem Misstrauen, der Hermeneutik des Verdachts, verschrieben hatten.

1969 legte Strobl die Verantwortung für die Wiener KHG nieder. Er wurde Domkapitular zu St. Stephan und fand sich statt unter Studenten in der ungewohnten, ihm kaum angemessenen Gesellschaft älterer Kleriker wieder. Die letzten eineinhalb Jahrzehnte seines Lebens setzte er dennoch neue Experimente in die Welt, die bis heute ihre Wirkung tun: das Studentenförderungswerk Pro Scientia (schon 1966), den Otto-Mauer- Fonds (1980), das Forum St. Stephan (1980/81), das Netz Initiativer Christen (1983). Er war Rektor des Afro-Asiatischen Instituts, Geistlicher Assistent der Katholischen Aktion Österreichs und des Katholischen Akademikerverbandes im heutigen Otto-Mauer-Zentrum.

Mahl und Gespräch

Was immer Strobl neu entwickelte, war eine Variante seines Lebensprojekts Gemeinde und seiner Methode Gespräch. Er wusste schon damals: Ohne Gemeinden gibt es kein christliches Leben, er hielt sogar Sprengelgemeinden, also kleinere Einheiten für nötig, um der großstädtischen Anonymität zu entgehen. In überschaubaren Gruppen sollte die Scheu überwunden werden, über den Glauben zu reden.

Strobl verordnete der Katholischen Aktion ein Konzept von weit gestreuten "Glaubensgesprächsgruppen" und ging damit in die Öffentlichkeit. Die beiden ORF-Studienprogramme "Wozu glauben?" (1974) und "Wem glauben?" (1977) verdanken sich wesentlich Strobls Inspiration: ein Medienverbund-Programm im Radio, das Sendungen, schriftliche Unterlagen und Gesprächsgruppen verknüpfte und an die 500.000 Personen in ganz Österreich erreichte.

Er selbst sammelte bis zuletzt Freunde um seinen Tisch - zum Gespräch, das immer auch ein Glaubensgespräch war. "Blutspender" nannte er einmal diejenigen, mit denen er sich durchaus heftig auseinandersetzte, darunter Friedrich Heer, der Soziologe Erich Bodzenta, der früh verstorbene Philosoph Fridolin Wipplinger. Sein Tisch war immer auch zum gemeinsamen Mahl gedeckt; kein Zufall, dass eine seiner ersten Initiativen nach dem Krieg die Gründung der Mensa im Studentenhaus in der Wiener Ebendorferstraße war. Freundschaft verträgt Streit, aber nicht bei leerem Magen.

Vier Jahre nach Karl Strobls Tod - da wäre er 80 geworden - wurde am Studentenhaus eine Gedenktafel für ihn enthüllt. Die Zeremonie leitete der wenige Monate davor zum Weihbischof für Kunst und Wissenschaft ernannte Kurt Krenn. Er machte dem Strobl'schen Gemeinde-Entwurf endgültig den Garaus und nannte die dortige Studentenkapelle des Ottokar Uhl "eine Waschküche". Eine Episode, die vorbeiging. Strobls provozierende Sätze und Fragen sind hingegen eine dauerhafte Geschichte geworden.

Geschichte ist, schrieb Strobl an den Anfang seines Buches, "eine Möglichkeit des Dankes. Es handelt sich um die Sicherung der Toten, die nicht mehr sprechen". Der intellektuelle Weinbauer ist nicht verstummt, er hat das Wichtigste hinterlassen, was einem Christen möglich ist: eine Wolke von Zeugen, die das Gespräch mit ihm erinnern, fortführen und weitergeben. Immer noch, wenn im Otto-Mauer-Zentrum vorgetragen und diskutiert wird, enden die Gespräche bei Wein aus den Strobl'schen Weingärten in Poysdorf.

Der Autor ist stellv. Vorsitzender des "Forums Zeit und Glaube"/Kath. Akademikerverband Wien.

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