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OTTO MAUER / ANREGER UND ANALYTIKER

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Spekulatives Denken liegt dem Österreicher nicht sehr. Dieses Volk hat wenig Philosophen und kaum große Theologen hervorgebracht, hat in Kunst und Geist nur Schauspiel und Musik gelten lassen, die Dichter ebenso wie die Denker durch Nichtverstehen und Mißverstehen, durch Totschweigen, Totreden und Totfälschen für die Überheblichkeit bestraft, auch nur einen Millimeter über den Durchschnitt herausragen zu wollen.

Otto Mauer ist einer der wenigen Theologen dieses Landes. Sein Medium war und ist das Wort, weniger die Schrift. Tausende wurden in Wien und in Österreich von diesem Wort beeindruckt. Im Wort prägt sich ihm die Wahrheit. Es ist kein Zufall, daß die Publikation, die er mitgegründet hat und seit mehr als zwei Jahrzehnten mitherausgibt, „Wort und Wahrheit“ heißt. Man hat oft gesagt, daß es ein kaltes Feuer sei, das von ihm ausgehe. Gewiß, er hat nichts von der Wärme dumpfen Wohlbefindens an sich, gemütliche Wohltemperiertheit verbreitet er nicht. Auch jene, die durch Temperament und Lebensart von ihm verschieden sind, haben ihn immer geachtet, manchmal bewundert und gelegentlich auch ein wenig bedauert. Bedauert, daß unter den vielen Gaben, die er besitzt, die Gabe des menschlichen Kontaktes nicht gerade die stärkste zu sein scheint.

Otto Mauer ist ein Kind der alten kulturträchtigen Landschaft südlich Wiens. Am 14. Februar 1907 wurde er in Brunn am Gebirge als Sohn eines Beamten geboren. Als Realschüler kam er mit jener katholischen Form der Jugendbewegung in Berührung, die manchen Grundzug seines Wesens geprägt hat, dem Bund Neuland, von dem manches Heil und manches Unheil, manche Klärung und manche Verwirrung ausging, dessen Menschen aber bis zur Gegenwart den österreichischen Katholizismus Stärkstens beeinflußten. Heute nennt sich jede Organisation Bewegung, Neuland war wirklich eine Bewegung, die Neuländer waren immer auf dem Weg, manche sind dabei auch in die Irre gegangen, aber immer waren sie Sucher. Auch Otto Mauer war ein solcher Sucher, auch er war immer unterwegs.

Daher kann man ihn schwer festlegen. Es hat in den sechs

Dezennien seines bisherigen Lebens nicht einen, sondern verschiedene Otto Mauer gegeben. Es gab den „konservativen“ ebenso wie den „progressiven“, den politischen Monsignore der Katholischen Aktion wie den Anwalt einer strengen Trennung von Kirche und Parteipolitik, den harten Krieger und den Künder des Friedens. Der Theologe in Wien und Münster, der Kaplan in Schwechat zu Beginn der dreißiger Jahre, der Religionsprofessor in Strebersdorf und Berndorf war wahrscheinlich weder den Kollegen noch den Vorgesetzten ein bequemer Mann. Die politische Macht hat ihn immer mit etwas Mißtrauen betrachtet, vor 1938 ebenso wie nach 1938, aber auch nach 1945. Während der NS-Zeit kommt Mauer zum erstenmal im Kreis um Dr. Rudolf mit den Künstlern in Berührung. Ihnen und der modernen Kunst bleibt er trotz heftiger Angriffe treu. Die Künstler, die Akademiker, die Journalisten bilden heute den Umkreis seiner engeren Tätigkeit, nachdem seine Führungsrolle in der Katholischen Aktion, die er über ein Jahrzehnt innehatte, ein Ende gefunden hatte. Der Katholikentag von 1952, der erste große Rechenschaftsbericht des österreichischen Katholizismus nach dem Krieg, in seiner Aussage bis heute nicht überholt, war zu einem guten Teil sein geistiges Werk.

Otto Mauer ist nicht der Typ, dem die Herzen zufliegen, er hat nicht nur Freunde, sondern auch entschiedene Gegner. Es scheint oft, als ob er sich um das eine so wenig schert wie um das andere. Eine gewisse Nonchalance, eine gesuchte Distanz ließen viele unter der Maske der Überheblichkeit nicht das empfindsame Herz erkennen, das zu stolz ist, sich Freunde zu suchen, aber auch zu stolz, deren Fehlen zu beklagen. Auch, daß er jetzt 60 Jahre alt sein soll, wird ihn wenig kümmern. Es ist „passiert“ wie vieles in seinem Leben, das heißt, es ist geschehen, vorübergegangen, durchlitten und durchschritten. Er ist eigentlich kein österreichischer Typ, österreichisch an ihm ist sein Schicksal. Er ist einer der wenigen Theologen, die wir haben. Er hätte gewiß an einer Fakultät gute Figur gemacht, er hätte vieles sein können, man hat ihn etwas am Rande stehen lassen; oder hat er sich selbst an den Rand gestellt? Er hat trotz allem gegenteiligen Anschein nie viel aus sich selbst gemacht. Er ist eine große Begabung, aber in Österreich tut man immer so, als ob man es sich leisten könnte, Begabungen zu verzetteln, Begabungen zu verschleißen, Begabungen nicht zur Kenntnis zu nehmen. Otto Mauer würde sich jedes elegische Wort an seinem Geburtstag verbitten. Mit Recht. Denn das, was er ist, wird er auch weitere Jahrzehnte noch bleiben: der große Anreger, der große Analytiker, der in Rede und Gegenrede, in Spruch und Widerspruch das eigene Denken provoziert. Und 60 Jahre? Damit steigt ein Mann, vor allem ein Mann der Kirche, erst in den Zenit seiner Schaffenskunst.

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