Nichts harmonisieren

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"Au contraire": Schon der Titel des Bandes, den sich die Katholische Hochschulgemeinde Graz zum 60er gönnt, spricht die intellektuelle Unbequemlichkeit an.

Sechzig Jahre alt ist die Katholische Hochschulgemeinde Graz heuer geworden - und kann auch nach mehr als einem halben Jahrhundert für sich beanspruchen, dem Gründungsideal einer christlichen Gemeinde an der Universität, einer Schnittstelle zwischen Glauben und Intellektualität, eines Ortes, wo die Fragen der Zeit bedacht und vorgedacht werden, am stärksten verbunden geblieben zu sein. Während sich etwa die Katholische Hochschulgemeinde Wien heute von den Visionen der Gründergeneration um den Studentenseelsorger Karl Strobl (1908-84) weit entfernt hat und als Bauchladen unterschiedlicher, meist konservativer Spiritualitäten präsentiert, weiß die KHG Graz weiter um diese Wurzeln - und zieht ihre Früchte daraus. Immerhin hieß der Grazer Hochschulseelsorger 1964-81 ja Egon Kapellari, heute Bischof in der südostösterreichischen Diözese.

Dem Gründungsmythos der Hochschulgemeinden folgend, der auch und bewusst die intellektuelle Auseinandersetzung über das Lesen von Büchern beschwor (die Altvorderen erzählten späteren Studentengenerationen etwa, sie hätten Listen von Büchern angelegt, die sie auf eine einsame Insel mitnehmen würden), gönnt sich die Grazer KHG gerade zum 60er ein eigenes Buch, das schon im Titel Au contraire. Glaube Emotion Vernunft angibt, weiter auf die hier skizzierte Tradition zu setzen.

Ein Sammelband, der die Vorzüge des Genres nutzt und sich als ein Spektrum wie Panoptikum an Zugängen, die sich einer Grundlinie verpflichtet fühlen, erweist. "Agora zu sein für unterschiedliche Weltanschauungen und Lebensentwürfe, dabei selbst einen Standpunkt zu vertreten, der sich als offen und durchlässig erweist für den Dialog", so beschreiben das die Herausgeber des Bandes im Vorwort. Für den Furche-Redakteur, der in solchen Zeilen auch ein Motto seiner Zeitung wiederfindet, ein sympathisches Unterfangen, das sich beim Hineinlesen in die einzelnen, sich durchaus unterschiedlich positionierenden Beiträge ganz und gar bestätigt: Siemens-Chefin Brigitte Ederer über Barmherzigkeit in der Wirtschaft, der Telekom-Obere Boris Nemsic über die Gesellschaft und ihre "Alten" sind nur zwei Beispiele derartiger Zugänge. Erhard Busek, Wolfgang Schüssel, Hannes Androsch, Madeleine Petrovic runden das politische Spektrum der Zugänge ab.

Daneben positionieren sich "Altvordere" wie die Ex-Hochschulseelsorger Egon Kapellari ("Wie progressiv darf Kirche sein?") und Heinrich Schnuderl sowie deren langjährige Bildungsreferenten Harald Baloch (heute Kapellaris Kunst-Berater) und Franz Grabner (heute ORF-Dokumentationschef), die einen amüsanten E-Mail-Verkehr beisteuern, oder die drei aus der KHG Graz hervorgegangenen Chefredakteure Gerfried Sperl (Standard), Rudolf Mitlöhner (Furche) und Michael Fleischhacker (Presse).

Natürlich fehlt das Thema Kunst keineswegs - durch die Zeichnungen von Constantin Luser und nicht zuletzt durch das Interview mit dem Schriftsteller D\0x017Eevad Karahasan, das absichtsvoll und programmatisch den Reigen der 31 Beiträge eröffnet.

Au contraire. Glaube Emotion Vernunft Hg. Astrid Polz-Watzenig, Matthias Opis, Alois Kölbl, Rainer Bucher. Wieser Verlag, Klagenfurt 2006, 253 S., kt., e 20,40

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