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M. Pfliegler und J. Messner

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Österreich sei, so wurde öfters behauptet, ein Land, das keine bedeutenden Philosophen und Theologen hervorgebracht habe. Große wissenschaftliche Leistungen dagegen weise Österreich auf den sogenannten „Nebengebieten” der Theologie auf, wie in der Pastoral, im Kirchenrecht, in der Kirchengeschidite, in der Soziologie. Als Beweis dafür können die Namen zweier Männer angeführt werden, die vor kurzem das achtzigste Lebensjahr erreichten und mit ihren wissensdiaftUchen Arbeiten Weltruf erlangten.

Der eine ist Univ.-Prof. Michael Pfliegler, der am 26. Jänner 80 Jahre alt wunde. 1926 veröffentlichte der Fünfundroißiigjährige in der Pasto-ralzeitsdirift „Der Seelsorger” einen leidenschaftlichen Aufruf, der weit über den deutsdien Spradiraum hinaus die junge Priesteiįeneration aufrüttelte und in dem er das zentrale Anliegen seines Leljens selbsit artikulierte: „Unsere Religion ist bürgerlich geworden. Sde ist gesättigt, behauch, ohne Frage. Sie verbietet sidi jede Störung. Der Mechanik des Sonntags entspricht die Gottlosigkeit des Alltags. Das ist’s, daß uns Religion nicht tägliche Aufgabe ist, sondern Verteidigung dessen, was gestern gewesen. In diese Religion gehört der Priesterbeamte, der definitive Katechet, der vom Staat fix besoldete Religionsprofessor; aUes ist System, und was wir noch können, das ist: eine neue Methode fin-den^ An diesem System ist niemand von uns schuldig. Aber die Gefahren dieses Systems müssen wir sehen, sonst setzt es aUe unsere Arbeit kalt. Und die schwerste Gefahr ist, daß wir das System mit der Kirche selbst verwechseln, das ist der fortlebende Christus, der gekommen ist, täglich kommt, durch Sein Leiden und Sterben, au retten, was verloren war…” Hier klingt alles schon an, worum es Pfliegler letztlich ginig: der Mensch und seine quälenden Fragen, die kommende Generation, die Stadt und die Gesellsciiaßt von morgen. Damit quälte er sich ab, dem Menschen des 20. Jahrhunderts den Weg zum Glauben an Jesus imd Seine Botschaft aufzuzeigen, weil er überzeugt war, daß diese Botschaft auch Licht in die dunklen Fragen der Menschen von heute bringen und diesen Mai-scihen Kraft für die Bewältigimg ihrer brennenden Aufgaben geben könnte.

Viele Fragen, die uns heute nodi bewegen, hat Pfliegler schon vor 50 Jahren gestellt. Viele Wege, die die offizielle Kirche beute selbstverständlich geht, ist Pfliegler einsam, nur von wenigen Freunden begleitet, oft mißverstanden und verdächtigt, aber unbeirrt gegangen. 40 Jahre vor dem Zweiten Vatikanum und seiner Pastoralkon-stiitution über die Kirche in der Welt von heute hat er sich für die liturgische Erneuerung und für die ökumenische Bewegung eingesetzt und das Aggiornamento der Kirche und den Primat der Pasitoral gefordert. Wer solchermaßen altein- und ausgefahrene Wege verläßt und neue in die Zukunft sucht und geht, hat kein bequemes Leben. Aber Pfliegler war immer edn Mann und ein Christ mid immer wußte er sich als Mann und als Christ verpflichtet, kriisch zu bleiben, nicht nur anderen gegenüber, sondern auch sich selbst und der eigenen Kirche gegenüber, aus Liebe zu dieser Kirche; und auch verpflichtet, unbeirrbar zu dem zu stehen, was er nach reiflicher Prüfung für richtig erkannte. Im (letzten aber war und Wieb Pfliegler edn priesiterHcher Mensch.

Er hat eine ganze Generation wesentlich mitgeprägt und ihr durch das, was er tat, sprach und schrieb und vor allem durch das, was er war, Wege durch eine dunkle und wirre Zeit gewiesen.

Der zweite weltberühmte Theologe, den das jetzige Österreich der Welt schenkte, ist der Soziologe Johannes Messner, der am 16. Februar das 80. Lebensjahr erreicht.

Am Gymnasium in Brixen las der junge Student Johannes Messner die „Einleitung in die soziale Frage” des Jesuiten Biederlack. Man hat ihm, so erzählt er, dieses Buch als zu gefährlich ahgenonmien. Der aus einer in Schwaz (Tirol) beheimateten Arbeiterfamilie Stammende hatte dann aber beim Theölogiestudium im späteren Erzbischof Waitz einen engagierten Lehrer der Sozialethik. Nach der Priesterweihe 1914 war Messner mehrere Jahre unmititelbar in der Seelsorge tätog. Um die Zeit des Kriegsendes trat er erstmals als Verfasser von Zeitungsartikeln zu aktuellen Zeitproblemen hervor. Wer nur sedne im sitrengen Stü wissenschaftlicher Genauigkeit verfaßten Werke kennt, ist überrascht von der jouimaliistischen imd sdwLftstei-lenischen Begabung Messners, der in der Zwischenkriegszeit unter anderem Chefredakteur der kulturpolitischen Wochensciinift ,J)as Neue Reicäi” war. Er hat den „Weg des Katholizismus im XX. Jahrhundert” (Titel einer Sammilung seiner Aufsätze damals) mitbestimmt. Zum Aufbruch der KathoMschen Aktion und zur modernen Seelsorge hat er beigetragen.

Im Weinien Kreis bemerkte er manchmal: „Ich habe sechs Jahre schließlich Sozialwissenschaften bei bekannten Lehrern, wie dem Na-tionalökonomen Adoilif Weber in München, studiert. Und wenn man meint, ich verstünde nicäits von Sozdologiie, wer kann schon heute von sich sagen, er habe im Seminar von Max Weber miitgearbeitet?” Sein Hauptwerk der Zwischenkriegszeit, „Die soedale Frage”, hat von 1963 bis 1964 acht Auflagen erlebt! Schon in der ersten Auflage finden sich die Ansätze für die gleichibereditigte Einordnung der Arbeit mit dem Eigentum in das Zentrum wirtschaftlicher Entscheidungen (in etwa die Idee der heutigen Soeüalpartnerschaft), finden snch immer noch aktuelle Fragen, zur betrieblichen Sozialreform zum Beispiel, und zur Mitbestimmung im differenzierten Verständnis. Der im Brennpunkt der sozialen und politischen Entwücklung jener Zeit stehende Priester und Forscher, seit 1935 Professor an der KathoUsch-Theologisdien Fakultät der Universität Wien, mußte 1938 vor der Verhaftung durch die Nationalsozialisten fliehen und kam nach England. Im Oratorium in Birmingham setzte eine intensive Phase der Begegnung mit der angelsächsischen Denkwedt ein, ihrer ethisch-utüitardstischen und empinisch sozlal-pragmatiischen Art. In jenen Jahren entstand seine „Summe”, das Natur-recht, zunächst in Englisch (Social Ethics). Jahre bevor noch im katholischen Raum die empirische An-thropologie so recht entdeckt war, kombinierte er die metaphysisch-dedutotive Methode mit den Erfahrungswissenschaften und erwies die Naturrechtsprinzipden als synthetische Urteile, die in ihrer Erkenntnis durch Erfahrung bedingt sind (im Aufweis der „existentiellen Zwecdce” des Menschen) und erst, insoweit sie überhaupt oberste Prinzipien sind, als solche dann evident einsichtig erfaßt wenden können. Die gegenwärtige Phase der Naturrechtskritik selbst im kathoUscäien Raum kann ihn nicht erschüttern: „Dann gebrauche Ich eben das Wort nicht, sondern nur die Sachangu-mente.” Er ist Kampf und Auseinandersetzung der Meinungen gewöhnt. Was wurde nicht auch früher schon alles geredet und geschrieben… So ist er anderseits auch heute, da ihm noch voMe Schaffenskraft gegönnt ist, einer der wenigen, die in der Verwirrung der Zeiten Orientierung zu geben vermögen. In seiner schlichten Lebensweise, seiner spartanischen Zeiteinteilung hat sich nichts geändert. Er kann über seine seinerzeit gar nicht so starke Gesundheit lächeln, daß es ihm heute noch möglich ist, in der nachmittägigen Schnaufpause auf den Kahlenberg zu steigen. Seine tiefste Kraftquelle ist ihm freilich der Herr.

In allen Kontinenten hat er heute Freunde, bedeutende Wissenschaftler, die sich zu seinen Schülern rechnen. Bine Reihe von Ehrendoktoraten ist ihm schon verliehen worden. Zum 80. Geburtstag hat er jede festliche Ehrung abgelehnt. Seine Schüler und Mitarbeiter wünschen ihm noch lange vole Schaffenskraft! Wie hat einer seiner Schüler, selbst ein bekannter Wissenschaftler, gesagt: „Ist es nicht herrlich, du wählst ein paar Nummern am Telephon und kannst dir Rat holen, mit ihm sprecihen…?”

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