Wenn sogar Gott spazieren geht

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Die Prediger belegen Wirtschaftskurse, die Dichter lösen Kreuzworträtsel - stellt Joop Roeland in seinem neuen Buch fest. Dieses zeigt aber auch, daß Sprache, Predigt - und Poesie bei ihm in guten Händen liegen.

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Die Prediger belegen Wirtschaftskurse, die Dichter lösen Kreuzworträtsel - stellt Joop Roeland in seinem neuen Buch fest. Dieses zeigt aber auch, daß Sprache, Predigt - und Poesie bei ihm in guten Händen liegen.

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Nicht nur in der Auseinandersetzung von Kirche mit bildender Kunst ist gegenwärtig Dürre zu konstatieren. Ähnliches - wenn auch eine Stufe weniger dramatisch - gilt auch fürs katholische Verhältnis zur zeitgenössischen Literatur (und umgekehrt: fürs Verhältnis der Literatur zur zeitgenössischen Kirche).

Auf einen Nenner gebracht: der Kirche gehen die Dichter ab, die sie notwendig bräuchte - nicht zuletzt um die Sprachlosigkeit überwinden zu helfen, die in ihr gegenüber der Welt und gegenüber den Menschen herrscht. Solcher Befund ist nicht auf die großen Dichter beschränkt. Auch die kleinen Wortmächtigen fehlen, die Übersetzer des Alltags in eine Sprache, die das Herz trifft.

Obiger Diagnose sind Ausnahmen entgegengesetzt, es gibt doch noch Dolmetscher des Kleinen, das den Menschen tagtäglich vertraut ist, in verständliches Wort: Joop Roeland - Priester, Holländer, seit bald 30 Jahren in Wien ansässig und in Wiens ältestem Gotteshaus, der Ruprechtskirche, tätig - gehört zu diesen seltenen, aber notwendigen leisen Rednern gegen die Beliebigkeit der Sprache und die Hartherzigkeit der Worte. In seinem Buch "An Orten gewesen sein" stellt er dies eindringlich und eindrucksvoll unter Beweis.

"An Orten gewesen sein" - ein "Geographie-Buch", wie es der Autor nennt - ist eine Sammlung von poetischen und feuilletonistischen Miniaturen und "Alltagsgedichten", in denen Joop Roeland sich den kleinen Dingen des Lebens nähert - mit einem sehnsuchtsvollen Blick auf das Gewöhnliche, in dem er aber das Außergewöhnliche und Überraschende entdeckt. Ein Stadtbuch eines Flachländers, der durch Wien schlendert, der kauzig aus seiner niederländischen Heimat erzählt oder mit wenigen Wortstrichen Bilder von Menschen ("Opfer, Verdächtige, Unschuldige ...") malt - einer Köchin, eines Schlafwagenschaffners, eines Pfarrers, einer Fußpflegerin oder eines Einbrechers (siehe unten). Daneben die kleine Natur, die auch dem notorischen Stadtmenschen Roeland nicht entgeht: Gräser, Bäume, Papageien, der Moorfrosch ebenso wie der - unten beschriebene - seltsame Zugvogel Ortolan.

Eine Ortsuche und gleichzeitig Ortfindung - immer rückgebunden an die leise, aber beharrlich gestellte Frage nach Gott: Berührend und in die Tiefe gehend werden die Annäherungen Joop Roelands, wenn er im Banalen ebenso selbstverständlich den göttlichen Funken entdeckt wie im Großen. Der Autor läßt Gott sogar einen Spaziergang - durch Wien? - machen; und alle, die es lesen, glauben daran, daß diese Geschichte sich ereignet hat.

Fast en passant geht Joop Roeland in jedem der Texte auf die religiöse Sehnsucht der Menschen ein - und zwar mit der kleinen, leisen Andeutung einer Antwort aus dem Glauben. Fingerzeige, nicht ohne Humor und Ironie, sodaß sogar eine Feststellung wie: Gebete würden zu Mittag leichter erhört, nicht nur als lächelnde Poesie, sondern als verschmitzte Wahrheit entgegentritt.

Poesie - das Stichwort spielt in den Texten Roelands eine zentrale Rolle, "Poesie des Lebens": Der Titel einer der Miniaturen könnte über dem ganzen Buch stehen, das ein zweifaches Hoffnungszeichen darstellt: "An Orten gewesen sein" ist ein Gegenpunkt zur eingangs geäußerten Befürchtung, die (heilende) Sprache sei in der Kirche verlorengegangen.

Und - noch wichtiger: Es ist ein Hoffnungsbuch für die vielen religiös Sehnsüchtigen, die einer heilenden Sprache so dringend bedürfen.

An Orten gewesen sein. Texte zum Weitergehen. Von Joop Roeland. Otto Müller Verlag/Verlag Die Quelle, Salzburg/Feldkirch 1999. 240 Seiten, brosch., öS 278,-/e 20,20

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