Wohliges Chaos mit Charitos

Werbung
Werbung
Werbung

Viele böse Sprüche vom griechischen Kommissar.

Andere bringen aus dem Urlaub Honigmandeln und Sesamplätzchen mit - sie eine Leiche." Das ist die Ausgangssituation des zweiten Kriminalromans von Petros Markaris. Wenn der griechische Kommissar Kostas Charitos mit seiner Frau bei Verwandten Urlaub macht, ist dies schon schrecklich genug. Diesmal gibt's außerdem ein Erdbeben, und nach einem Erdrutsch auf der Insel wird eine verscharrte Leiche gefunden. Schicksal für den Pechvogel.

Es war nicht anders zu erwarten. Das Wetter in Athen ist unverändert fürchterlich, der Haussegen bei den Charitos hängt so schief wie sonst nur Hausmauern in südlichen Ferienquartieren sein können, die griechischen Politiker sind noch immer korrupt und die Kommentare des grantigen Kommissars brennen wie ein Schwall Meerwasser in einer offenen Wunde. Gründe genug, um bei der Lösung des zweiten Falles des griechischen Kommissars dabei sein zu wollen. Grund genug, sich auf weitere Fälle zu freuen.

Buchstäblich nichts ist in Ordnung im Straßengewirr unter der Akropolis, und daran wird sich auch nichts ändern. Die Müllabfuhr wird wieder einmal streiken und die Straßen damit in eine Dreckwüste verwandeln. Irgendwo in der Stadt werden Bürger und Lastautos den Verkehr blockieren. Und die Ehefrau von Charitos wird gefüllte Tomaten machen, um damit ein Zeichen der Versöhnung zu setzen. Ändern wird sich nichts. Chaos im Kommissariat und im Leben. Ein auf beruhigende Weise wohlbekannter Familienkosmos, denkt man etwa an die heile Welt des Commissario Brunetti, des Berufsgenossen in Venedig, der philosophische Bücher liest, sich in die römische Geschichte vertieft, gut isst, kluge Gespräche mit seiner Literaturprofessorin und Ehefrau führt und einen echten kleinen van Gogh in der Küche hängen hat.

Charitos vertraut lediglich Wörterbüchern, hat keine großen Interessen, verliert sich im Alltag, kann kein Französisch und passt in ein feines Restaurant wie ein albanischer Flüchtling ins Sacher, um in der Diktion des Autors zu bleiben. Wenn er nicht auf Verbrecherjagd wäre, was bliebe ihm dann? Zu Hause würde er es nicht lange aushalten mit seiner Frau Adriani, die ihn bemuttert und kontrolliert. Die Verbrecher sind hier wie dort böse, doch dieser Ehealltag jagt dem Leser dauernd ein Gruseln über den Rücken. Charitos schert sich einen Dreck um political correctness, er schimpft auf Albaner und auf die EU und hasst es, wenn seine Frau noch munter ist, wenn er spät nach Hause kommt.

Da der Ferientote in den folgenden Wochen nicht der einzige bleibt, ein Nachtklubbesitzer ermordet wird und die Terrorabteilung den Fall abgibt, wird es in den folgenden Wochen öfter Mitternacht. Das zehrt an den Nerven und an der Gesundheit. Männer gehen nicht gern zum Arzt. Erst wenn es sich nicht mehr vermeiden lässt, akzeptieren sie das Unvermeidliche. Vom Krankenbett aus koordiniert der Kommissar dann die weiteren Ermittlungen, um am Schluss akzeptieren zu müssen, dass seine Frau doch recht hatte und fast alle Verbrechen aus Leidenschaft verübt werden. So nebenbei werden wir in die Aufgaben von Fußballklubs der 3. Liga eingeweiht, die eine wichtige Drehscheibe für Geldwäsche darstellen und dürfen wieder einmal den Polizeichef Gika verachten, dem es nur um Presseaussendungen geht.

Charitos ist alles andere als perfekt. Er hat Vorurteile und der Autor bietet ihm dafür auch eine Bühne. Als er einen Engländer, einen Deutschen und eine Griechin wegen des Toten auf der Insel befragt, ist der behäbige Athener, der sie als Nichtsnutze einstuft, beruhigt: "Wenigstens auf der Ebene der Taugenichtse erfüllen wir die Maastrichtkriterien." Dass sich auch Charitos irrt, erfahren wir einige Absätze weiter unten, und zwar ohne großen Aufwand. Der Autor entlarvt die Schwächen seines Kommissars ohne Getöse. Nicht nur, was dessen vielfältige Vorurteile betrifft, sondern auch bei der Schilderung des Ehelebens, wo es auch nach Jahrzehnten noch schüchterne Zärtlichkeiten gibt. Markaris verschont keine Gruppe mit seinen Kommentaren und selbst das Warten auf ein Taxi nutzt er für die politische Sondierung Griechenlands im neuen Jahrtausend. Adriani versteht nicht, warum ihr Mann nicht den Dienstausweis zückt, um schneller zu einem Taxi zu kommen. Er will eben nicht als Faschist beschimpft werden, erklärt er: "Würdest du lieber als Kommunist bezeichnet werden? Die guten alten Zeiten sind endgültig vorbei, fügt sie hinzu und seufzt. Faschisten, Kommunisten und Liberale, es gibt sie längst nicht mehr. Mutterseelenallein stehen wir beide da mit unseren drei Koffern und warten darauf, dass uns irgendein verirrtes Taxi aufnimmt."

Die Leser wünschen sich Kontinuität. Man weiß, wenn die neue Donna Leon erscheint, ist der Sommerurlaub nicht mehr weit. Mit dem Diogenes-Verlag ist jederzeit zu rechnen, doch kann man sich auf die diversen polizeilichen Ermittler als literarische Lebensbegleiter tatsächlich verlassen? Vorgewarnt durch Donna Leon, betrachtet der Rezensent das Schicksal des griechischen Kommissars mit kritischen Augen. Der zweite Charitos ist besser, böser und schärfer als der erste. Beim dritten wird es noch immer gefüllte Tomaten mit viel Verbitterung geben. Die Tochter wird vielleicht den Arzt heiraten. Wenn Charitos weiterhin so leichtfertig mit seiner Gesundheit umgeht, wird er den vierten Fall wahrscheinlich nicht erleben, doch bis dahin sind noch einige böse Sprüche zu erwarten.

"Es weinen nicht nur die Männer, die ihre Haare schulterlang wachsen lassen, sondern auch die mit Bürstenhaarschnitt. Und sie weinen wie die Frauen. Die Kleider sind unisex, die Uhren zeigen überall dieselbe Uhrzeit, und die Ohrfeigen werden in beide Richtungen ausgeteilt. Wie soll man jetzt noch Lämmer und Zicklein am Fleischerhaken auseinanderhalten können, wenn ihnen das Fell abgezogen wurde?"

Nachtfalter

Ein Fall für Kostas Charitos

Roman von Petros Markaris

Diogenes Verlag, Zürich 2001

554 Seiten, geb., öS 342,-/e 24,88

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung